Der Klinikarzt 2012; 41(06/07): 275
DOI: 10.1055/s-0032-1326971
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Lebererkrankungen sind auf dem Vormarsch

Helmut Friess
,
Arno Kornberg
,
Roland M Schmid
,
Andreas Umgelter
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Publication Date:
28 August 2012 (online)

In Deutschland nehmen Lebererkrankungen derzeit den 5. Platz in der Sterblichkeitsstatistik ein. Bei den 25- bis 45-jährigen Patienten stellen sie mittlerweile sogar die führende Todesursache dar. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Leberzirrhose, deren Häufigkeit in den letzten Jahren stetig gestiegen ist. Momentan wird von einer Inzidenz von 350 000 Zirrhosekranken (1 pro 240 Einwohnern) ausgegangen, sodass die durch Lebererkrankungen verursachten volkswirtschaftlichen Schäden auf circa 5 Mrd. Euro/Jahr veranschlagt wird. Neben Alkoholkrankheit sowie viralen und cholestatischen Leberentzündungen ist dafür vor allem die dramatische Zunahme an nicht-alkoholischer Steatohepatitis verantwortlich. Aktuelle epidemiologische Daten belegen, dass mittlerweile jeder 5. Erwachsene in Deutschland eine Fettleber hat, die durch übermäßigen Alkoholkonsum, Übergewicht und falsche Ernährung bedingt ist. Darüber hinaus haben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit etwa 2 Mrd. Menschen eine Hepatitis-B-Infektion durchgemacht, circa 400 Mio. Menschen sind chronisch mit dem Hepatitis-B-Virus infiziert und etwa 200 Mio. Menschen leiden an einer chronischen Hepatitis-C-Infektion. Diese eindrucksvollen Zahlen erklären auch die eindringliche Suche nach neuen therapeutischen Ansätzen, welche bereits im präzirrhotischen Stadium der Leberfibrose zum Einsatz kommen sollen. Intensive molekularbiologische Studien haben mittlerweile entscheidende Schritte der Leberfibrinogenese entschlüsselt und nähren die Hoffnung auf den baldigen Einsatz von neuartigen antifibrotischen Substanzen.

Wie bei kaum einer anderen Erkrankung ist die Langzeitprognose der Patienten mit Leberzirrhose von früher Diagnosestellung und regelmäßigem klinischen Monitoring abhängig. Das Ziel ist es, Komplikationen der Leberzirrhose bereits frühzeitig zu erkennen, da sie mit einem signifikanten Letalitätsrisiko assoziiert sind. Bei Erstdiagnose jeder Leberzirrhose und bei Dekompensation der Leberfunktion muss deshalb eine Gastroskopie zur Evaluierung möglicher Varizen erfolgen. Zur Primärprophylaxe einer Varizenblutung haben sich der Einsatz von β-Rezeptorenblocker und die Gummibandligatur bewährt. Bei erstmaligem Auftreten von Aszites und bei weiteren relevanten Komplikationen, wie hepatorenalem Syndrom oder hepatischer Enzephalopathie, kann die Indikation zur Parazentese zum Ausschluss einer spontan bakteriellen Peritonitis bestehen. Mithilfe einer Kombinationstherapie aus Vasokonstriktoren und Albumingabe kann das hepatorenale Syndrom erfolgreich behandelt werden. Die Anlage eines transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shunts (TIPS) bietet bei adäquater Indikationsstellung eine sinnvolle therapeutische Option bei anders nicht beherrschbarer Ösophagusvaritzenblutung und bei therapierefraktärem Aszites.

Das Hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist eine weitere gefürchtete Langzeit-Komplikation der Leberzirrhose. Nur durch eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit kann für die Betroffenen die beste Therapie gefunden werden. Diese reicht im Einzelfall von chirurgischen Optionen (Leberresektion, Lebertransplantation) über interventionelle Methoden (transarterielle Chemotherapie, Radiofrequenzablation) bis hin zu medikamentösen Angeboten (Tyrosinkinasehemmer).

Nicht zu spät sollte bei fortschreitender Leberzirrhose mit Auftreten entsprechender Komplikationen an die Option Lebertransplantation gedacht werden. Diese stellt bei diesen Patienten häufig die einzige kurative Therapieoption dar. Vor Aufnahme auf eine Warteliste muss dabei nicht nur eine intensive hepatologische und kardiologische Abklärung erfolgen, sondern auch eine entsprechende psychosomatische Evaluation der Patienten. Die Einführung des MELD-Scores (Model for end-stage liver disease) und der MELD-basierten Leberallokation im Dezember 2006 hat die Situation der Wartelistenpatienten und der Transplantationszentren in Deutschland signifikant verändert. Zwar wurde das primäre Ziel dieser Neuregelung erreicht, nämlich eine Reduktion der Wartelistenmortalität, allerdings um den Preis einer verringerten Überlebensrate nach der Transplantation. Die Hauptursache für diese Entwicklung ist der dramatisch zunehmende Mangel an adäquaten Spenderorganen in Deutschland. Dieser führt zum einen dazu, dass die wartenden Patienten immer später und damit eben häufig auch deutlich kränker in den operativen Eingriff gehen. Darüber hinaus sind die Transplantationszentren dadurch auch gezwungen sogenannte „marginale“ Spenderlebern zu akzeptieren. Es bleibt abzuwarten, ob die aktuelle Novellierung des Transplantationsgesetzes diese angespannte Situation entschärfen wird.

Im Folgenden möchten wir alle genannten Aspekte zum Thema Leberzirrhose im Detail weiter beleuchten. Um den interdisziplinären Charakter dieses Erkrankungsbildes zu betonen, werden Ihnen Fachspezialisten aus den Bereichen Hepatologie/Gastroenterolgie, Toxikologie, Psychosomatik, Anästhesie/Intensivmedizin und Chirurgie aus ihrem Erfahrungsschatz berichten. Wir freuen uns sehr, wenn wir Ihnen dadurch nützliche Informationen für Ihren klinischen Alltag liefern und stehen Ihnen gerne bei Fragen zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen