PPH 2012; 18(06): 285
DOI: 10.1055/s-0032-1330040
PPH|Szene
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Leserbrief

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Publication Date:
22 November 2012 (online)

Lieber Herr Hemkendreis,

amüsiert habe ich Ihren Beitrag „Sollen wir uns zur Abwechslung mal um die Patienten kümmern?“ gelesen. Vielen Dank für diese Satire, die von den wirklichen Verhältnissen kaum noch zu unterscheiden ist.

Es wäre allerdings falsch zu meinen, dass der Versuch, die Verhältnisse an die eigenen Grundüberzeugungen anzupassen, ein Phänomen der Neuzeit wäre: Richtig gute Ideologen haben sich von den Realitäten zu keiner Zeit wirklich beeindrucken lassen.

Bitte bedenken Sie den Unholt Prokrustes aus der griechischen Mythologie, der ein Wegelagerer war und äußerst rigide Vorstellungen davon hatte, wie Menschen zu sein haben. Prokrustes hatte nämlich ein Bett. Das bot er Reisenden an. Er war fest davon überzeugt, dass alle Menschen in dieses „Prokrustes Bett“ passen müssen. (Zu) Große Menschen hat er gefesselt und ihnen die Füße und Hände abgehackt. (Zu) Kleine Menschen hat er so lange auf dem Bett gestreckt, bis sie „gepasst“ haben.

Erstaunt hat mich der Leserbrief aus Herten zu Ihrer Satire. Da wird die perfekte systemstabilisierende Einstellung auf den Punkt gebracht: Eine satirisch verpackte Kritik an den Realitäten wird mit dem Vorwurf des „Jammerns“ belegt. Bleibt uns also nur noch das Abfinden. Legen wir uns klaglos in Prokrustes Bett. Passen wir uns an, sorgen wir dafür, dass die Realitäten ins Schema gezwungen werden, auch wenn sie dort nicht hineinpassen - aber „jammern“ wir nicht.

Ganz ernsthaft und ohne einen satirischen Unterton: Treten wir dafür ein, dass unsere Klassifikationssysteme und unsere Messinstrumente sich an unsere Patienten anpassen und nicht umgekehrt. Und zwischendurch muss man auch mal jammern dürfen.

Beste Grüße

Prof. Dr. med. Karl H. Beine

Chefarzt, St. Marien-Hospital Hamm