Diabetes aktuell 2012; 10(6): 251
DOI: 10.1055/s-0032-1330963
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Vivat Diabetologia

Antje Bergmann
,
Peter Schwarz
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Publication Date:
05 November 2012 (online)

Anlässlich der 6. Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft wollen wir das Thema „Die Versorgung von Menschen mit Diabetes mellitus“ in den Vordergrund heben.

Derzeit erleben wir einen dramatischen Wandel sowohl bei der Veränderung der Versorgungsstrukturen für Menschen mit Diabetes mellitus in Deutschland als auch in der gesamten Europäischen Union. Die entscheidende Triebkraft dahinter ist die stark wachsende Anzahl von Menschen mit Diabetes mellitus und die je nach Gesundheitssystem im Land wachsende ökonomische Belastung, diese Patienten adäquat zu versorgen. Was bedeutet das für unsere Versorgungsstruktur in Deutschland? Wie wird die Zukunft der Diabetologie aussehen? Im Moment erleben wir, dass Krankenkassen sich strategisch umbauen. Das stellt einerseits eine Gefahr dar, bietet der Diabetologie aber auch eine große Chance. Es bestehen wachsende Chancen, dass sowohl die sektorielle Trennung von Prävention und Versorgung als auch die Trennung von ambulanter, stationärer und rehabilitativer Versorgung aufgegeben wird. Im Sinne eines modernen Chronic Care Managements besteht nun die Chance, Behandlungspfade zu etablieren, die den Patienten im Mittelpunkt sehen und diesen personalisiert, integrativ und basierend auf einer Risikostratifizierung adäquat behandeln. Das erfordert jedoch deutliche Umstrukturierungen in unserem Gesundheitssystem. Die Herausforderung für Ärzte, auch Verantwortung abzugeben, wird wachsen. Andererseits kann ein Zugewinn an neuen Aufgaben im Bereich Prävention und Telemedizin daraus erwachsen. Die beratenden Berufe werden perspektivisch wahrscheinlich mehr Verantwortung übernehmen müssen, und es werden deutlich mehr Berater für ein modernes Chronic Care Management notwendig sein als in heutigen Disease Management Strukturen. Krankenkassen werden versuchen, ihre Rolle im Markt zu stärken und als Disease Management Anbieter selbst aktiv werden. Das bietet viele Chancen, aber es wird auch gewisse Vorbehalte geben. Der Patient selbst wird in eine stärkere, eigenverantwortlichere Rolle hineinwachsen müssen. Dies gilt insbesondere für Patienten mit chronischen Erkrankungen. Eigenverantwortung und Selbstmanagement des Patienten werden perspektivisch einen drastisch wachsenden Stellenwert haben. Die Gesundheitspolitik ist der im Moment am wenigsten zu kalkulierende Faktor.

Was bedeutet das aber insbesondere für die Diabetologie und ihre Interventionskonzepte? Man wird immer mehr davon abkommen, Patienten starr nach einem Schema mit einer vorgeschriebenen Anzahl von Stunden zu behandeln. Die Krux dabei war und ist, dass der Patient nach Ende einer Schulung eine Nachbetreuung erhalten müsste, welche in den derzeitigen Erstattungsstrukturen nicht abbildbar ist. Moderne Konzepte müssen die individuellen Bedürfnisse des Patienten im Zusammenhang mit seiner Erkrankung sehen und in den Kontext zu seinen Lebensumständen setzen.

Betrachtet man die sich verändernde Versorgungsstruktur unabhängig von Partikularinteressen, erleben wir momentan zweifellos eine enorme Herausforderung für die Entwicklung unseres Gesundheitssystems – mit der Zunahme der Anzahl von Menschen mit chronischen Erkrankungen. Dabei ist die Frage, wie diese Patientenbehandlung zu finanzieren ist, nur ein Problem. Die andere Seite ist durchaus die Arbeitsfähigkeit der deutschen Bevölkerung. Auf dem European Diabetes Leadership Forum in Kopenhagen im April dieses Jahres hat die OECD diesen Aspekt in den Mittelpunkt gestellt. Die steigende Zahl von Menschen mit chronischen Erkrankungen beeinträchtigt die Arbeitsfähigkeit der europäischen Bevölkerung nachhaltig und hat einen stärkeren Einfluss, als die derzeitige Finanzkrise. Das ist ein Zusammenhang, der für uns als Patientenbehandler im Moment zweitrangig ist, aber gesellschaftlich in Zukunft eine enorme Rolle spielen wird. Wie gehen wir damit um? Was erwartet uns dabei? Und welche Dinge kann man einerseits unterstützen, andererseits aber auch Vorbehalte überdenken?

Zu diesen Themen, zu Behandlungsoptionen und Innovationen im Bereich Telemedizin haben wir diese Ausgabe konzipiert.

Wir hoffen, dass dieses „Versorgungsheft“ Ihr Interesse weckt und wünschen Ihnen beim Lesen und den Besuchern der 6. Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft eine spannende Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Mit herzlichen Grüßen verbleiben wir

Ihre Antje Bergmann und Peter Schwarz