Dtsch Med Wochenschr 2013; 138(37): 1823
DOI: 10.1055/s-0033-1343337
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Rheumatologie und Klinische Immunologie als Querschnittsfächer

Rheumatology and clinical immunology: cross-disciplinary fields
H.-M. Lorenz
1   Sektion Rheumatologie, Medizinische Klinik V, Universitätsklinikum Heidelberg
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Publication Date:
04 September 2013 (online)

Getrieben durch die pathogenetischen Erkenntnisse, die pharmakologischen Innovationen und die immer feineren diagnostischen Werkzeuge, teilt sich die Innere Medizin seit Jahren und Jahrzehnten in immer dezidiertere Subspezialitäten auf. Dem wurde ab Anfang der 1970er Jahre Rechnung getragen, als die Facharztbezeichnungen für die Subspezialitäten des Internisten eingeführt wurden. 2006 wurde in der neuen Weiterbildungsordnung eine primäre umfassende Ausbildung zum Internisten umgestellt in einen „common trunk“ für 3 Jahre mit weiterer 3-jähriger Subspezialisierung in die einzelnen Fachgebiete der Inneren Medizin. Dies muss unweigerlich dazu führen, dass junge Kolleginnen und Kollegen immer mehr scheuklappenähnlich in ihren Fachgebieten festgehalten sind und die Systembiologie des Menschen und ihre Krankheiten nicht mehr in Gänze beherrschen können. Somit bieten Fächer mit geringer Organspezifität und eher systemischem klinischem Geschehen die reizvolle Aufgabe, auch über den Tellerrand des betroffenen Organs hinaus eine systemische Medizin betreiben zu dürfen und zu müssen.

Die Rheumatologie und klinische Immunologie zählt zweifellos zu diesen eher systemisch ausgerichteten Querschnittsfächern: Unsere Erkrankungen werden in der Regel durch das Immunsystem vermittelt, das natürlich nicht nur auf ein Organ fixiert sein kann, sondern den gesamten Körper schützen muss oder – im Zuge der Pathologie – schädigen kann. Dies ist besonders evident bei Kollagenosen und Vaskulitiden, einzelne Krankheitsentitäten können praktisch jedes Organ des Körpers entzündlich befallen. Aber auch chronische Arthritiden als eher gelenkbezogene Entzündungsreaktionen haben systemische „Nebenwirkungen“ in Form einer beschleunigten und verstärkten Arteriosklerose, einer Fettstoffwechselalteration oder einer höheren Prävalenz von Malignomen, insbesondere von Lymphomen.

Nicht zuletzt haben die in der Rheumatologie und klinischen Immunologie verwendeten Therapeutika ebenfalls systemische Ansatzpunkte, obwohl sie immer spezifischer einzelne entzündungsvermittelnde Zytokine oder bestimmte Zellen des Immunsystems binden und neutralisieren oder zerstören. Des Weiteren trägt jedes Immunsuppressivum das Risiko einer erhöhten Infektlastigkeit, darüber hinaus ist nicht geklärt, ob die Tumorrate im Langzeitverlauf nicht doch ansteigt (auch wenn es bis dato keinen Hinweis dafür gibt). Allein die systemische Nebenwirkungsrate der Kortikosteroide würden einige Seiten dieses Heftes füllen können.

Dies belegt, dass der internistische Rheumatologe und klinische Immunologe nie organspezifisch denken und handeln kann, sondern den Patienten über die systemische Bedeutung seiner Erkrankung aufklären und entsprechend denken und therapieren muss. Auf der einen Seite macht dies ein systemisch aufgestelltes Fach der Inneren Medizin besonders interessant, auf der anderen Seite stellt dies in größeren Klinikverbünden für den internistischen Rheumatologen oft ein Problem dar, denn die Überlappung der entzündlich-immunologischen und rheumatologischen Erkrankungen mit den Schwesterfächern der Inneren Medizin führt häufig zu Konflikten über die Führungskompetenz bei dieser Erkrankung und bei dem spezifischen Patienten.

Entsprechend gut muss sich der Rheumatologe über Innovationen in anderen Fächern der Inneren Medizin fortbilden. Darüber hinaus ergeben sich wissenschaftlich wie klinisch zunehmend Schnittmengen mit der orthopädischen Rheumatologie und der Kinder- und Jugendrheumatologie. Dem will auch der Lehrinhalt des kommenden Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (Kongresspräsident: Dr. Harald Dinges, Kusel) sowie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (Kongresspräsident: Dr. Jürgen Grulich-Henn, Heidelberg) Rechnung tragen. In der Programmgestaltung haben die Kongresspräsidenten großen Wert auf die Interdisziplinarität gelegt, viele Sitzungen werden gemeinsam gestaltet, wir werden Sitzungen erleben, die internistische Themen außerhalb der Rheumatologie lehren wie die aktuellen Therapierichtlinien des Diabetes mellitus, die neuen Antikoagulantien, wir werden eine eigene Sitzung zum Thema „Der Rheumapatient und seine Komorbiditäten“ veranstalten, in der das metabolische Syndrom, Patienten mit Tumoranamnese, geriatrische Patienten, Patienten mit chronischen Infektionen sowie Patienten mit zerebralen und kardiovaskulären Erkrankungen vorgestellt und erörtert werden. Die Sitzung zur Immunologie des Alterns zielt in dieselbe Richtung mit systembiologischen Ansprüchen.

Ich wünsche Ihnen als Kongresspräsident viel Spaß beim Lesen dieses Schwerpunktheftes und würde mich freuen, wenn ich Sie in Heidelberg und Mannheim zum Kongress begrüßen darf.

Ihr

Prof. Dr. Hanns-Martin Lorenz