Z Geburtshilfe Neonatol 2013; 217(03): 77-78
DOI: 10.1055/s-0033-1348252
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Wir müssen reden“

“We Have to Talk”
S. Steppat
1   Deutscher Hebammenverband e. V.
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Publication Date:
28 June 2013 (online)

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
vor einigen Monaten bat mich Prof. Singer im wissenschaftlichen Beirat dieser Fachzeitschrift mitzuwirken – dem komme ich gerne nach. Und da es ein Novum ist, dass eine Hebamme zu diesem Beirat gehört, sehe ich dies als Chance, den interprofessionellen Austausch weiter anzuregen. Ich möchte mich hier kurz vorstellen, persönlich und als Vertreterin der Hebammen. Zunächst habe ich ein Studium der Biologie abgeschlossen und mich in meiner Diplomarbeit mit Reparaturmechanismen von Schäden in bakterieller DNA beschäftigt. Fragestellungen aus der Genetik gehört auch heute noch ein Teil meines Interesses. Im damaligen Lebensabschnitt kam eine wissenschaftliche Laufbahn für mich nicht in Frage, so wurde ich – nach ausgiebigem Abwägen – Hebamme. Diesen Beruf übe ich seit 1997 äußerst gerne aus. Gleichzeitig war ich immer berufspolitisch interessiert und engagiert. Zunächst auf Landesebene, seit 2010 bundesweit als Präsidiumsmitglied im Deutschen Hebammen Verband (DHV), dem größten deutschen Berufsverband für Hebammen mit 18 000 Mitgliedern. Mein Ressort sind die Belange angestellter Hebammen sowie unter anderem auch Stellungnahmen zu wissenschaftlichen Themen, zu denen wir als Verband angefragt werden. Der DHV vertritt die Interessen aller Hebammen. Über die berufliche Interessenvertretung hinaus, ist eine gute medizinische und psychosoziale Betreuung der Frauen und ihrer Kinder vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende der Stillzeit das zentrale Anliegen des DHV.

Hebammen sind in Deutschland durch ihre umfassende Ausbildung und durch das Hebammengesetz zur alleinigen Durchführung von physiologisch verlaufenden Geburten und zur Überwachung des Wochenbettes befugt. Es besteht eine Hinzuziehungspflicht von Hebammen zu einer Geburt. 2012 wurden die Hebammenleistungen aus der 101 Jahre alten Reichversicherungsordnung in das SGB V überführt, einschließlich der freien Wahl des Geburtsortes für die Schwangere. Hebammen sind zur Qualitätssicherung verpflichtet. Im Zuge des Patientenrechtegesetzes werden Frauen mit dem Wunsch einer außerklinischen Geburt von den Hebammen unseres Verbandes mithilfe eines umfangreichen Aufklärungsbogens über alle Möglichkeiten und Komplikationen im Hinblick auf die Geburt informiert und aufgeklärt. Gemeinsam mit der Gesellschaft für die Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QuaG) werden seit 1999 außerklinische Geburten erfasst und nach dem Intention-to-treat Schema publiziert. Im Jahr 2010 waren das 79% der außerklinischen Geburten (Hausgeburten und Geburten in hebammengeleiteten Einrichtungen wie Geburtshäusern), das entspricht einem Gesamtanteil aller Geburten in Deutschland von 1,68%. Seit Jahrzehnten finden rund 98% der Geburten in Kliniken statt. Unser Berufsverständnis bezieht sich auf eine salutogenetische Sicht auf die physiologischen Vorgänge um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett, ohne potentiell vorhandene Risiken außer Acht zu lassen oder zu verharmlosen. Hebammenhandeln orientiert sich an den individuellen Bedürfnissen der Frauen und ihrer Ressourcen und impliziert grundsätzlich auch das Wohl des Kindes.

Das Recht auf freie Wahl des Geburtsortes der werdenden Mutter ist für uns ein hohes Gut. Schwangerschaft und Geburt sind einzigartige Phasen im Leben von Frauen, die Einfluss auf deren gesamte Biografie haben. Frauen sollten aus eigener Kraft und mit unserer Unterstützung gebären (können) – und nicht entbunden werden. Deswegen steht der Aspekt der Selbstbestimmung der Frau mit einem informed-choice-decision-making an erster Stelle im Betreuungsbogen der Hebammenarbeit. Dieser umfasst von der Familienplanung über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett alle Phasen bis zur Stillzeit. 2011 wurde jede fünfte Geburt eingeleitet, jede dritte durch einen Wehentropf beeinflusst, jede vierte Frau erhielt eine PDA, jede dritte einen Kaiserschnitt und jede vierte eine Episiotomie. Statt die Prozesse um Schwangerschaft und Geburt als risikobehaftet und lebensbedrohlich zu bewerten und einem Risikokatalog zu unterwerfen, arbeiten Hebammen frau-zentriert, ressourcenorientiert und partnerschaftlich – gemeinsam mit aufgeschlossenen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen.

Wenn Ärztinnen und Ärzte mit einem beruflich bedingt primär auf Risiko und Gefahr fokussiertem Blick und Hebammen primär salutogenetisch und ressourcenorientiert auf Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett blicken, sind Missverständnisse wohl nicht zu vermeiden. Missverständnisse beruhen häufig auf mangelnder Kommunikation und der unterschiedlichen Idee vom möglichen Ausgang des beobachteten Geschehens. Die berufliche Einsozialisation auf diese diametral unterschiedlichen Aspekte eines an sich normalen und lebensweltlich selbstverständlichen Vorgangs muss zu mehr Kommunikation der beteiligten Berufsgruppen führen. Wir beobachten dieselben Vorgänge und ziehen doch verschiedene prospektive Schlussfolgerungen.

Wir müssen in einen interprofessionellen Dialog treten, in dessen Verlauf wir eine gemeinsame Sprache, Ideen und Abgrenzung der Kompetenzen und Verantwortlichkeiten der Beteiligten finden. Das sollte unter der Anerkennung der Befugnisse und Kenntnisse, des Wissens und der Qualität der Arbeit des jeweils anderen stattfinden und gleichzeitig die Bedürfnisse und Bedarfe der Frauen respektieren.

Hinter den Mauern von Krankenhäusern werden Kranke behandelt. Schwangerschaft und Geburt sind aber per se keine Krankheiten. Wo können da gesunde Frauen begleitet und betreut werden, aus eigener Kraft zu gebären? Behandeln und betreuen, entbunden werden oder eigenständig und aus eigener Kraft gebären – allein in der Wortwahl erschließt sich die Einstellung zu diesen Prozessen. Worte beeinflussen, verändern und schaffen Bewusstsein.

Im letzten Jahr haben Kolleginnen und ich Visionen entwickelt, in denen die Geburtshilflichen Abteilungen in Kliniken einen eigenen Eingang, andere räumliche Strukturen und Dienstkleidung sowie flache Hierarchien in interprofessionellen Teams haben, um nicht nur die Nähe zum Kranksein zu nehmen, sondern auch um die Erwartungshaltung der Aufsuchenden zu durchbrechen, ebenso wie deren Ängste, aber auch die innere Haltung und den Blick der dort Tätigen.

Beginnen wir einen Dialog gleich hier und starten eine wertschätzende Auseinandersetzung in dieser Fachzeitung. Nutzen wir diese Plattform, unsere Arbeit gegenseitig kennen und schätzen zu lernen. Sie werden im (neuen) Leserbriefbereich (Seite 83ff) einen kontroversen Austausch zwischen Hebammenwissenschaftlerinnen und einer ärztlichen Autorin finden. Es sollte uns möglich sein, über diese sehr unterschiedlichen Positionen in den kommenden Ausgaben zu einem gegenseitigen Verstehen zu kommen.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen heißen Sommer.
Beste Grüße,
Susanne Steppat
Hebamme