Z Gastroenterol 2017; 55(03): 248
DOI: 10.1055/s-0042-118447
Historisches
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Lazarro Spallanzani: ein Priester als Begründer der Magenphysiologie

Herbert Koop
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Publication Date:
13 March 2017 (online)

Die Begründung der modernen, auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Magenphysiologie ist untrennbar mit dem Namen des Universalgelehrten Lazarro Spallanzani (1729 – 1799) verbunden. Spallanzani, eigentlich Priester, aber zugleich begnadeter Naturforscher, erhielt 1768 eine Professur für Naturgeschichte an der Universität Pavia und war auf so unterschiedlichen Gebieten wie Vulkanologie, Geologie, Neurophysiologie (Sinnesorganen der Fledermäuse) und Fragen der Reproduktion von Säugetieren inklusive in-vitro-Fertilisation tätig.

Aufbauend auf Versuchen von René-Antoine Ferchault de Réaumur (1683 – 1757) führte Spallanzani Untersuchungen zur Verdauungsfunktion des Magen an einer Vielzahl von Vögeln durch, von Hühnern über Reiher bis zu gezähmten Raubvögeln wie Adler und Geier [1] [2]. Um die Verdauung in vivo zu untersuchen, ohne dass ein Kontakt zur Magenwand bestand, konstruierte er wie Réaumur kleine Metallkapseln, deren Hülle mehrfach perforiert war, um einen Übertritt von Magensaft in die Kapsel zu ermöglichen. In diese Kapseln konnten nun Nahrungsbestandteile eingebracht werden, so Getreidekörner, Fleischstücke, Knochenfragmente u. a.; zur Bergung befestigte er teils Fäden an den Kapseln, während er sich bei anderen Spezies das für manche Vogelarten typische Erbrechen zu Nutze machte. Nachdem die Kapsel wieder geborgen war, überprüfte er die Auswirkungen des Magensaftes auf die in der Kapsel befindlichen Nahrungsmittel und konnte eine entsprechende zeitabhängige Verdauung nachweisen.

Spallanzani beließ es aber nicht nur bei solchen in-vivo-Experimenten, sondern untersuchte die Verdauungsvorgänge auch unter in-vitro-Bedingungen. Dazu verabreichte er Vögeln kleine Schwämme, die an einem Faden befestigt waren. Nachdem sich die Schwämmchen mit Magensaft vollgesogen hatten, wurden sie den Vögeln entnommen und die Wirkung der so gewonnenen Magenflüssigkeit im Reagenzglas auf Nahrungsmittel untersucht. Um die Aufrechterhaltung der adäquaten Temperatur zu gewährleisten, verwahrte er die Reagenzgläser zeitweilig unter seiner Achselhöhle auf. Bei diesem Versuchsansatz konnte Spallanzani belegen, dass die chemische Zersetzung von Nahrungsmitteln unter dem Einfluss des Magensaftes im Reagenzglas (in vitro) in ähnlicher Weise abläuft wie im Magen (in vivo). Mittels dieser genialen Experimente zeigte Spallanzani erstmals, dass die Verdauungsvorgänge im Magen ein chemischer Prozess sind, und hatte damit die Hypothese widerlegt, dass der intragastrale Verdauungsprozess durch Fäulnis oder Gärung bzw. durch Wärme oder Reibung verursacht wird. Die Selbstverdauung des Magens post mortem, die vielen Pathologen bekannt war, deutete Spallanzani korrekt als Resultat der auch nach dem Tod noch andauernden digestiven Wirkung des Magensaftes.

Noch war unbekannt, welche Faktoren für diese chemische Wirkung verantwortlich waren, obwohl ein saures intragastrales Milieu bereits lange außer Frage stand. Erst im Jahr 1824 konnte William Prout (1785 – 1850) belegen, dass im Magen freie Salzsäure und nicht – wie von vielen zeitgenössischen Forschern postuliert – Milchsäure oder andere Säuren vorhanden ist [3] [4]. In zahlreichen Versuchsreihen von Friedrich Tiedemann (1781 – 1861) und Leopold Gmelin (1788 – 1853) war die alleinige Anwesenheit von Salzsäure aber nicht annähernd so wirksam wie genuiner Magensaft, sodass weitere chemische Substanzen für den digestiven Prozess im Magen verantwortlich sein mussten [5]. Dieses Rätsel lösten Theodor Schwann (1810 – 1882) und Johannes Müller (1801 – 1858), die 1836 das Ferment Pepsin aus dem Magensaft isolierten: Sie konnten zeigen, dass die Wirksamkeit von Pepsin pH-abhängig ist, die Säure selbst aber an dem Verdauungsprozess nicht direkt beteiligt ist [6] [7].

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Die an einem Faden befestigte Kapsel wird durch Zug aus dem Magen eines Huhns geborgen [8].
 
  • Literatur

  • 1 Reaumur RAF. Sur la digestion des oiseaux. Premier Mémoire.. Mém acad sci Paris 1756; 1752: 266-307
  • 2 Michaelis DCF (Übers). Herrn Abt Spallanzani’s Versuche über das Verdauungs-Geschäfte des Menschen und verschiedener Thier-Arten. Leipzig: Dykischen; 1785
  • 3 Prout W. On the nature of the acid and saline matters usually existing in the stomach. Philos Trans R Soc London 1824; 114: 45-49
  • 4 Prout W. Über das Wesen und die Behandlung der Krankheiten des Magens und der Harnorgane. Leipzig: Kollmann; 1843
  • 5 Tiedemann F. Gmelin L. Die Verdauung nach Versuchen. Leipzig: Groos; 1826-1827
  • 6 Schwann T. Über das Wesen des Verdauungsprocesses. Arch Anat Phys 1836; 1: 90-138
  • 7 Müller J. Schwann T. Versuche über die künstliche Verdauung des geronnenen Eiweisses. Arch Anat Phys 1836; 1: 66-89
  • 8 Figuier L. Vies des savants illustres du XVIIIe siècle avec l’appréciation sommaire de leurs travaux. Paris: Librairie Internationale; 1870