Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2000; 35(2): 9-8
DOI: 10.1055/s-2000-10850-7
MINI-SYMPOSIUM
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Ileuseinleitung mit Succinylcholin: Möglichkeiten die Neben- wirkungen zu reduzieren

M.  Blobner, R.  Busley, E.  Kochs
  • Institut für Anaesthesiologie der Technischen Universität München, Klinikum rechts der Isar, München
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Publication Date:
12 May 2004 (online)

Bei erhöhter Aspirationsgefahr muß es das Ziel einer Narkoseeinleitung sein, nach Verlust der Schutzreflexe in möglichst kurzer Zeit die Atemwege durch die endotracheale Intubation zu sichern. Das ist zur Zeit ohne zusätzliche Maßnahmen und mit üblichen Dosierungen nur mit Succinylcholin möglich. Allerdings hat Succinylcholin einige klinisch relevante Nebenwirkungen, die in direktem Zusammenhang mit dem depolarisierenden Charakter der Substanz stehen:

Die anhaltende Aktivierung nikotinerger Azetylcholinrezeptoren der motorischen Endplatte führt zu Muskelfaszikulationen und in der Folge zu postoperativen Myalgien und zur Erhöhung des intrazerebralen, intraokulären und intragastralen Druckes.

Die Aktivierung von perijunktionalen und besonders extrajunktionalen Azetylcholinrezeptoren führt zu prolongierter Freisetzung intrazellulären Kaliums mit der Gefahr der Hyperkaliämie.

Die dosisabhängige Aktivierung bzw. Blockade muskarinerger Azetylcholinrezeptoren des Myokards führt zu Herzrhythmusstörungen.

Unterschiedlichste Medikamente bzw. Anwendungsmodifikationen wurden mit dem Ziel untersucht, die Häufigkeit und das Ausmaß dieser unerwünschten Nebenwirkungen zu reduzieren. Das Prinzip der verwendeten Methoden basiert darauf, durch Antagonisten die jeweils am problematischsten erachtete unerwünschte Wirkung zu verhindern, zu behandeln oder zumindest günstig zu beeinflussen.

Die Behandlung der Myalgien erfolgt entweder durch analgetische Therapie oder kausal durch Vermeidung bzw. Reduktion der Faszikulationen. Inwieweit eine Narkoseeinleitung mit Opioiden dabei bereits wirksam ist, bleibt trotz der Untersuchung von Polarz offen [8]. Übliche Praxis ist dagegen die Therapie der Myalgien mit peripheren Analgetika. Auch eine prophylaktische Gabe von nichtsteroidalen antiinflammatorischen Substanzen ist wirksam. Beide Optionen müssen jedoch wegen Beeinträchtigung der Hämostase im Einzelfall geprüft werden [5].

Die Vermeidung der Muskelfaszikulationen hat nicht nur die Reduktion des Muskelschmerzes, sondern auch die Vermeidung intraokulärer [6] und intragastraler Druckanstiege [7] sowie Hyperkaliämien [4] zum Ziel. Die älteste, am besten untersuchte und im klinischen Alltag meist angewandte Methode ist dabei die Präkurarisierung [12]. Andere Methoden wie die Vorgabe kleiner Dosen von Succinylcholin („selftaming”) [10] oder die Gabe von Lidocain [7] spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle.

An der Wirksamkeit der Präkurarisierung, das Faszikulieren und dessen assoziierte Nebenwirkungen nach einer standardisierten Succinylcholindosis zu vermeiden, besteht trotz gelegentlich gegenteiliger Untersuchungsergebnisse kein Zweifel mehr. Die Grundlage dieses Effektes beruht vermutlich auf dem Antagonismus zwischen Succinylcholin und dem nichtdepolarisierenden Muskelrelaxans an prä- und postsynaptischen Azetylcholinrezeptoren [9]. Pharmakokinetische Aspekte dieser Wechselwirkung ergeben sich zudem aus der Zeit zwischen Präkurarisierung und Succinylcholininjektion und der verwendeten Dosis. Da der Antagonismus jedoch auch die eigentliche Wirkung des Succinylcholins betrifft, führt die Präkurarisierung auch zu längeren Anschlagszeiten, kürzeren Wirkungszeiten und reduzierter maximaler neuromuskulärer Blockade [2] [11]. Um dieses wieder auszugleichen, wird eine Erhöhung der Succinylcholindosis um 25 - 70 % empfohlen [2] [3].

Wir haben an 400 Patienten Dosis-Wirkungsbeziehungen für Succinylcholin nach Präkurarisierung mit Atracurium und Vecuronium untersucht, um die notwendige Dosiserhöhung quantifizieren zu können. Wesentliches Ergebnis der Untersuchung war die Erkenntnis, daß eine Dosiserhöhung von Succinylcholin nach Präkurarisierung die Wahrscheinlichkeit zu faszikulieren ebenfalls erhöht. Äquipotente Succinylcholindosen nach Präkurarisierung mit beispielsweise 70 µg/kg Atracurium und ohne Präkurarisierung unterscheiden sich dann nicht mehr hinsichtlich der Inzidenz der Faszikulationen. Das gleiche gilt für die doppelte ED95 unter beiden Regimen (0,76 mg/kg Succinylcholin vs. 1,32 mg/kg Succinylcholin). Daten über das Ausmaß oder die Inzidenz postoperativer Myalgien unter äquipotenter Succinylcholin Dosierung mit oder ohne Präkurarisierung haben wir nicht erhoben und liegen auch nicht von anderen Autoren vor.

Vergleichbar ist die Datenlage zur Prophylaxe der Hyperkaliämie durch Präkurarisierung. Auch hier gilt, daß nichtdepolarisierende Muskelrelaxantien vor der Succinylcholingabe die Höhe des Kaliumanstiegs reduzieren . Verglichen wurden jedoch wiederum Kombinationen, die bezogen auf die erzielte neuromuskuläre Blockade nicht äquipotent waren [4].

Succinylcholin löst - insbesondere bei Kindern und nach repetitiver Gabe - Bradykardien aus. Diese Nebenwirkung soll durch Prämedikation mit Atropin vermieden werden. Neben anderen unerwünschten Wirkungen der prophylaktischen Atropingabe werden vermehrt Tachyarrhythmien beschrieben, was zumindest bei Patienten mit Herzerkrankungen ebenso unerwünscht ist. Noch nicht geklärt ist zudem, ob eine Dosisreduktion des Succinylcholins nicht genauso effektiv Bradyarrhythmien verhindert wie eine Atropin-Prämedikation. Unsicher ist auch der Wert einer Präkurarisierung hinsichtlich der Verminderung von Bradyarrhythmien. Eine Präkurarisierung mit modernen nichtdepolarisierenden Muskelrelaxantien führt jedoch nicht zu einer Blockade der muskarinergen Rezeptoren des Myokards und kann daher auch nicht die rezeptorgetriggerte bradykarde Wirkung des Succinylcholins verhindern. Daher muß wenigstens aus theoretischer Sicht nach einer Dosiserhöhung des Succinylcholins wegen Präkurarisierung häufiger mit Bradyarrhythmien gerechnet werden.

In unserer Studie zeigten 37,5 % der präkurarisierten Patienten innerhalb von 3 min paralytischer Symptome, wie Diplopie, ein Gefühl schwerer Augenlider, ein allgemeines Unbehagen oder Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken. Es wurden jedoch in Einzelfällen auch Zeichen einer respiratorischen Beeinträchtigung wie vermehrtes Einsetzen der Atemhilfsmuskulatur beobachtet [1]. Damit besteht bei Präkurarisierung ein ernst zu nehmendes zusätzliches Risiko.

Spätestens seit der Einführung kurz- und mittellang wirkender nichtdepolarisierender Muskelrelaxantien wird die Indikation zur Relaxierung mit Succinylcholin seltener gestellt. Neben Notfällen verbleibt als hauptsächliche Indikation die Blitzintubation beim aspirationsgefährdeten Patienten. Gerade bei solchen Patienten sind jedoch Schluckstörungen höchst unerwünscht. Das Ziel einer neuromuskulären Blockade im Rahmen solcher Narkoseeinleitungen ist vielmehr die rasch einsetzende und vollständig ausgeprägte Muskelerschlaffung, um in kürzester Zeit akzeptable Intubationsbedingungen zu erzielen. Dem steht eine Präkurarisierung im Wege. Aber auch die anderen medikamentösen Verfahren, unerwünschte Succinylcholinwirkungen zu reduzieren, besitzen ihrerseits Nebenwirkungen. Dagegen lassen sich die meisten unerwünschten Wirkungen durch Dosisreduktion des Succinylcholins (z. B. 0,75 mg/kg) abschwächen, ohne bei ausreichender tiefer Anaesthesie schlechtere Intubationsbedingungen oder sonstige Nachteile zu verursachen.

Literatur

  • 1 Engbaek L, Viby Mogensen J. Precurarization - a hazard to the patient?.  Acta Anaesthesiol Scand.. 1984;  28 61-62
  • 2 Erkola O, Kuoppamaki R. Five non-depolarizing muscle relaxants in precurarization.  Acta Anaesthesiol Scand.. 1983;  27 427-432
  • 3 Freund F G, Rubin A P. The need for additional succinylcholine after d-tubocurarine.  Anesthesiology.. 1972;  36 185-187
  • 4 Gronert G A, Theye R A. Pathophysiology of hyperkalemia induced by succinylcholine.  Anesthesiology. 1975;  43 89-99
  • 5 McLouglin C, Nesbitt G A, Howe J P. Suxamethonium induced myalgia and the effect of pre-operative administration of oral aspirin. A comparison with a standard treatment and an untreated group.  Anaesthesia.. 1988;  43 565-567
  • 6 Meyers E F, Krupin T, Johnson M, Zink H. Failure of nondepolarizing neuromuscular blockers to inhibit succinylcholine-induced increased intraocular pressure, a controlled study.  Anesthesiology.. 1978;  48 149-151
  • 7 Miller R D, Way W L. Inhibition of succinylcholine-induced increased intragastric pressure by nondepolarizing muscle relaxants and lidocaine.  Anesthesiology.. 1971;  34 185-188
  • 8 Polarz H, Bohrer H, Fleischer F, Huster T, Bauer H, Wolfrum J. Effects of thiopentone/suxamethonium on intraocular pressure after pretreatment with alfentanil.  Eur. J. Clin. Pharmacol.. 1992;  43 311-313
  • 9 Sugai N, Hughes R, Payne J P. The effect of suxamethonium alone and its interaction with gallamine on the indirectly elicited tetanic and single twitch contractions of skeletal muscle in man during anaesthesia.  Br. J. Clin. Pharmacol.. 1975;  2 391-402
  • 10 Wald-Oboussier G, Lohmann C, Viell B, Doehn M. [„Self taming”: an alternative to the prevention of succinylcholine-induced pain].  Anaesthesist.. 1987;  36 426-430
  • 11 Walts L F, Dillon J B. Clinical studies of the interaction between d-tubocurarine and succinylcholin.  Anesthesiology.. 1969;  31 39-44
  • 12 Zaimis E J. Motor end-plate differences as a determining factor in the mode of action of neuro-muscular blocking substances.  Nature.. 1952;  170 617-618

Dr. Priv.Doz. Manfred Blobner

Institut für Anaesthesiologie

der Technischen Universität München

Klinikum rechts der Isar

Ismaninger Straße 22

D-81675 München

Email: Manfred.Blobner@lrz.tum.de

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