Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(43): 1307
DOI: 10.1055/s-2000-7993
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Procain als Schmerztherapeutikum bei der akuten Pankreatitis

C. Zwernemann, J. Steffen, P. A. Thürmann
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die akute Pankreatitis ist ein häufiges Krankheitsbild auf Intensivstationen. Viele allgemein anerkannte Lehrwerke der Inneren Medizin, Chirurgie und Intensivmedizin empfehlen Procaininfusionen bis zu 2 g/24 h als Schmerztherapeutikum [4] [6] [7] [8] [10] [11] . Auch in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten zur Therapie eines akuten Schubes der chronischen Pankreatitis wird die Gabe von Procain empfohlen [9].

Wir führten eine Medline-Recherche über den Zeitraum 1966 bis 1999 mit den Stichworten Pancreatitis, Pankreatitis, Analgesia, pain therapy, Randomized Controlled Trial, Clinical Trial durch. Es fanden sich keine randomisierten klinischen Studien zu diesem Thema. Wir fanden hingegen eine Reihe von Publikationen, die eine klinische Wirksamkeit dieses Therapieschemas aus der klinischen Erfahrung postulieren [3] [5].

Wir nahmen Kontakt zu den Autoren mehrerer Standardlehrwerke auf, um die zugrundeliegenden Daten für ihre Therapieempfehlung mit Procain zu erfragen. Die Antworten umfassten ein weites Spektrum. Ein Autor vertrat die Ansicht, dass der Therapieeffekt derart groß sei, dass eine klinische Studie keinen Sinn mache. Andere gaben zu, dass sie eine derartige Therapieempfehlung in ihre Lehrwerke aufgenommen hatten, weil es auch in anderen Lehrbüchern stünde. Häufig wurde geäußert, es seien dringend klinische Studien erforderlich.

Procain ist für das Anwendungsgebiet Analgesie nicht zugelassen. Die Wirksamkeit bei Procain soll auf Hemmung der Phospholipase A beruhen, welches tierexperimentell untersucht wurde [1]. Hierbei erhielten 20 Ratten bei experimentell induzierter Pankreatitis je 2 × 2 ml Procainhydrochlorid intravenös und intraperitoneal mit einer Gesamtdosis von 40 mg/kgKG. Nach 3 Tagen überlebten 45 % der Tiere im Vergleich zu 5 % der mit Kochsalzlösung behandelten Kontrollgruppe. Mehr als ein Hinweis auf ein Wirkprinzip kann dies bei der vorliegenden Untersuchung allerdings nicht sein.

Ferner ist eine lokale analgetische Wirkung der Substanz aus pharmakokinetischen Überlegungen fraglich. Da Procain unmittelbar von Cholinesterasen des Serums abgebaut wird, beträgt die Halbwertszeit im Serum nur wenige Minuten und es ist zweifelhaft, ob therapeutische Dosen am Wirkort vorliegen. Sollten dennoch therapeutisch wirksame Konzentrationen erzielt werden, so ist Procain als Substanz nicht unproblematisch. Myokardiale Toxizität, Hypotensionen und Herzrhythmusstörungen sind als Nebenwirkungen hoher systemischer Dosen bekannt. Allergien gegen Lokalanästhetika vom Estertyp sind keine Seltenheit.

Die Meta-Analyse der Cochrane-Collaboration zum Gebrauch von Albumin in der Intensivmedizin hat uns gezeigt, dass eine auf Konsens beruhende übliche klinische Praxis gelegentlich nicht nur nicht hilft, sondern auch schaden kann [2].

Daher sind prospektive, randomisierte klinische Studien zu Procain als Analgetikum bei der akuten Pankreatitis als Grundlage für den weiteren klinischen Gebrauch zu fordern.

Danksagung: Wir danken Herrn Prof. Greiner für seine kritische Anfrage und Anregung, der Wirksamkeit von Procain bei Pankreatitis nachzugehen.

Literatur

  • 1 Aho H J, Nevalainen T J, Lindberg R LP. et al . Experimental pancreatitis in the rat. The role of phospholipase A in sodium taurocholate-induced acute hemorhagic pancreatitis.  Scan J Gastroent. 1980;  15 1027-1031
  • 2 Cochrane Injuries Group . Albumin Reviewers.  BMJ. 1998;  317 235-240
  • 3 Goebell H. Was ist gesichert in der Therapie der akuten Pankreatitis.  Internist. 1978;  19 700-706
  • 4 Herold G. Innere Medizin. 1999: 400
  • 5 Lankisch P G. Konservative Therapie der akuten Pankreatitis.  Dtsch med Wschr. 1982;  107 630-635
  • 6 Largiadèr F. Checkliste Chirurgie. Thieme Verlag, 7. Aufl. 1998: 36
  • 7 Klinikleitfaden Intensivmedizin. Braun J, Press R Gustav Fischer Verlag, 4. Aufl. 1998: 362
  • 8 Mössner J, Goebell H. In: Innere Medizin. Claassen, Diehl, Kochsiek (Hrsg). Urban und Schwarzenberg, 4. Aufl. 741
  • 9 Mössner J, Keim V, Niederau  C. et al . Leitlinien zur Therapie der chronischen Pankreatitis Konsensuskonferenz der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Halle, 21.-23. November 1996.  Z Gastroenterol. 1998;  36 359-367
  • 10 Innere Medizin. Hrsg. v. Schettler G., Greten H. Thieme Verlag, 9. Aufl. 1998: 949
  • 11 Schölmerich J. Lehrbuch der Internistischen Intensivtherapie. In: Lasch HG, Lenz K, Seeger W (Hrsg.) Schattauer Verlag 3. Aufl. 1997: 482

Korrespondenz

Dr. med. Christoph Zwernemann

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