Dtsch Med Wochenschr 2000; 125(49): 1516
DOI: 10.1055/s-2000-9117
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Idiopathische chronische Pankreatitis

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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Frage: Seit 14 Jahren beklagte ein 40-jähriger Patient Oberbauchbeschwerden, die als nicht-ulzeröse Dyspepsie gedeutet wurden. Vor 5 Jahren trat erstmalig eine akute Pankreatitis auf (max. Anstieg der Lipase auf 5436 U/l). Computertomogramm und Sonogramm waren unauffällig. In der ERCP war der Ductus wirsungianus papillennah unauffällig, im Pankreasschwanzbereich vermehrt geschlängelt, was als Pankreasschwanzanomalie mit Zeichen einer Pankreatitis Grad I gedeutet wurde. Der Gallengang war unauffällig. Es bestanden weder Alkoholkonsum noch andere auslösende Ursachen. Vor 4 bzw. 3 Jahren kam es noch zu zwei Schmerzattacken, die 3-4 Tage dauerten und mit Anstiegen von Amylase und Lipase (1700/3800 U/l) einhergingen. Mehrfache Gastroskopien waren unauffällig. Behandelt wurde während der Attacken mit Protonenpumpenblockern und Cholspasmin forte.

Welche therapeutischen Möglichkeiten bestehen? Ist als Ursache der Schübe die Schwanzanomalie anzusehen oder dürfte sie eher Folge rezidivierender Entzündungen sein?

Antwort: Die chronische Pankreatitis zeichnet sich durch mehrere Episoden einer Pankreatitis aus, wobei sich morphologische Veränderungen am Gangsystem oder am Parenchym mit bildgebenden Verfahren nachweisen lassen. Im Spätstadium sind auch exokrine und endokrine Funktionsstörungen vorhanden. Die chronische Pankreatitis sollte von rezidivierenden akuten Pankreatitiden ohne Gang- und Parenchymveränderungen sowie ohne Funktionseinschränkungen abgegrenzt werden. Es gibt keine einheitliche Klassifikation. Sie wird klassischerweise anhand pathomorphologischer Merkmale (Marseille-Klassifikation) oder klinisch-röntgenmorphologischer Kriterien (Cambridge-Klassifikation) eingeteilt. Eine ätiologische Klassifikation ist ebenfalls möglich. Alkohol ist die häufigste Ursache in den westlichen Ländern. In den Entwicklungsländern gibt es eine „tropische kalkulöse” chronische Pankreatitis auf dem Boden einer Malnutrition. Metabolische Störungen (Hyperlipidämie und Hyperkalziämie) sind selten. In etwa 10 - 30 % aller chronischen Pankreatitiden konnte keine eindeutige Ursache gefunden werden (idiopathisch).

Die idiopathische chronische Pankreatitis zeichnet sich epidemiologisch durch eine bimodale Altersverteilung mit einem Altersgipfel im Kindes- und frühen Jugendalter (juvenile Form) sowie einem anderen Gipfel jenseits des 60. Lebensjahres (senile Form) aus [7]. Zu den seltenen Ursachen zählt die autosomal dominante hereditäre Pankreatitis, bei der eine Mutation des Trypsinogen-Gens zur Instabilität des Enzymes und konsekutiver chronischer Pankreatitis führt [3] [4]. Eine Mutation des für die zystische Fibrose verantwortlichen Genes wurde auch gehäuft bei idiopathischer Pankreatitis gefunden [1]. Die klinische Bedeutung solcher Mutationen bleibt zu evaluieren. Ein kommerzieller Test steht derzeit nicht zur Verfügung. Eine Sphinkter-Oddi-Dysfunktion sowie biliäre Mikrokristalle (Bilirubingranulate und Cholesterinkristalle) sind weitere potenzielle Ursachen für idiopathische rezidivierende akute Pankreatitiden und möglicherweise auch für die idiopathische chronische Pankreatitis [6] [8]. Die ätiologische Zuordnung in solchen Fällen ist schwierig und sollte in einem entsprechenden Zentrum mittels endoskopischer Sphinkter-Oddi-Manometrie oder Gallensekretuntersuchungen auf Mikrokristalle erfolgen. Eine entsprechende Therapie nach Diagnosesicherung, z. B. Pankreaspapillotomie bei der Sphinkter-Oddi-Dysfunktion, Cholezystektomie bei Bilirubingranulaten und Ursodeoxylcholsäuregabe bei Cholesterinkristallen, führt bei einem Teil der Patienten zu dauerhafter Beschwerdefreiheit.

Von H. Sarles 1961 erstmals postuliert, wurde in letzter Zeit, insbesondere in Japan, von einer Sonderform der idiopathischen chronischen Pankreatitis berichtet: die autoimmune [5] oder nicht-alkoholische gangdestruktive chronische Pankreatitis [2]. Sie zeichnet sich durch umschriebene oder diffuse Veränderungen des Pankreashauptganges sowie durch diffuse lymphozytäre Veränderungen des Parenchyms aus. Die Veränderungen sind potenziell reversibel unter Steroidtherapie. Sie wurde häufig im Zusammenhang mit dem Sjögren-Syndrom, aber auch bei anderen Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythromatodes, M. Crohn, Colitis ulcerosa und primär-sklerosierender Cholangitis beobachtet. Weitere klinische Merkmale sind: Hypergammaglobulinämie bzw. erhöhter IgG-Titer sowie der Nachweis einzelner Autoantikörper, z. B. antinukleäre Antikörper, antizytoplasmatische Antikörper, Anti-Ro-Antikörper (Sjögren-Syndrom-A), Anti-La-Antikörper (Sjögren-Syndrom), Anti-Carboanhydrase-II-Antikörper. Es wurden auch charakteristische Gangveränderungen und klinische Zeichen einer autoimmunen chronischen Pankreatitis ohne eine assoziierte klassifizierbare autoimmune Erkrankung beschrieben [9].

Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Stand sind die Gangveränderungen in allen Formen der chronischen Pankreatitiden als Folge der entzündlichen Vorgänge im Parenchym einzuordnen. Die Prognose einer idiopathischen chronischen Pankreatitis ist im Vergleich zu der alkoholischen chronischen Pankreatitis als gut einzuordnen. Bei lediglich etwa 5 % der Patienten wurden während des Krankheitsverlaufes Komplikationen wie Pseudozysten, exokrine und endokrine Funktionsstörungen beobachtet. Die Therapie ist rein symptomatisch. Bei der hereditären chronischen Pankreatitis müsste mit erhöhtem Krebsrisiko gerechnet werden.

Der beschriebene Patient hatte klinisch und laborchemisch mehrere Episoden einer akuten Pankreatitis. Die beobachteten Gangveränderungen in der ERCP deuteten auf eine chronische Pankreatitis hin. Da eine offensichtliche Ursache bisher nicht bekannt ist, handelt es sich um eine idiopathische chronische Pankreatitis. Diesbezüglich sollten die oben erwähnten seltenen Ursachen noch näher untersucht werden. Des weiteren wäre eine komplette Stagingdiagnostik einschließlich erneuter ERCP und Funktionstestung sinnvoll. Die Therapie richtet sich nach den Untersuchungsergebnissen.

Literatur

  • 1 Cohn J A, Friedman K J, Noone P G. et al . Relation between mutations of the cystic fibrosis gene and idiopathic pancreatitis.  New Engl. J. Med. 1998;  339 653
  • 2 Ectors N, Maillet B, Aerts R. et al . Non-alcoholic duct destructive chronic pancreatitis.  Gut. 1997;  41 263-268
  • 3 Gorry M C, Gannaizedeh D, Furey W. et al . Mutations in the cationic trypsinogen gene are associated with recurrent acute and chronic pancreatitis.  Gastroenterology. 1997;  113 1063-1068
  • 4 Gress T M, Micha A E. et al . Diagnose einer hereditären Pankreatitis durch Nachweis der Mutation im kationischen Trypsinogen-Gen.  Dtsch. Med. Wschr. 1998;  123 453-456
  • 5 Ito T, Nakano I, Koyanagi S. et al . Autoimmune pancreatitis as a new clinical entity.  Dig. Dis. Sci. 1997;  42 1458-1468
  • 6 Kuo W H. et al . The role of sphincter of Oddi manometry in the diagnosis and therapy of pancreatic disease.  Gastrointes. Endosc. Clin. N. Amer. 1998;  79-85
  • 7 Layer P, Yamamoto H, Kalthoff L. et al . The different courses of early- and late-onset idiopathic and alcoholic chronic pancreatitis.  Gastroenterology. 1994;  107 1481
  • 8 Ros E, Navarro S, Bru C. et al . Occult microlithiasis in »idiopathic« acute pancreatitis.  Gastroenterology. 1991;  101 1701
  • 9 Yoshida K, Toki F, Takeuchi T, Watanabe S, Shiratori K, Hayashi N. Chronic pancreatitis caused by an autoimmune abnormality.  Dig Dis Sci. 1995;  40 1561-1568

PD Dr Huan N Nguyen
Prof. Dr. Dipl. Biochem S Matern

Medizinische Klinik III Universitätsklinikum der RWTH

Pauwelstr. 30

52074 Aachen

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