Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(15): 418
DOI: 10.1055/s-2001-12728
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Koronare Bypass-Operation bei Adipösen?

Coronary bypass operation in obese patients?
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Ca. 30 % der Bevölkerung von Industriestaaten sind übergewichtig oder adipös (body mass index [BMI] < 25 kg/m 2 ). Das Übergewicht ist neben dem Rauchen der häufigste beeinflussbare Risikofaktor für die Entwicklung einer arteriellen Hypertonie, eines Diabetes mellitus und ein wesentlicher Begleitrisikofaktor für die Entwicklung einer koronaren Herzerkrankung. Dies erklärt, warum Übergewicht und Adipositas bei Patienten mit einer operationspflichtigen koronaren Herzerkrankung überproportional häufig vertreten sind. Daten eines amerikanischen Registers [1] von mehr als 11 000 konsekutiven Patienten, bei denen eine Bypass-Operation durchgeführt wurde, zeigen, dass das mittlere Gewicht aller Patienten mit einem BMI von 28,2 kg/m 2 deutlich erhöht war, und dass bei ca. 20 % der Patienten der BMI sogar über 32 kg/m2 lag. Hält der langjährige Trend der weiteren Zunahme des mittleren Gewichtes der Bevölkerung an, so wird bald jeder zweite Patient, den ein Herzchirurg operieren soll, deutlich übergewichtig sein.

Bösartige Zungen berichten, dass ein allseits bekannter Herzchirurg früher seine stark übergewichtigen Patienten selbst mit Hauptstammstenose zum »Abspecken« in Reha-Kliniken präoperativ verlegte. Einige dieser bedauernswerten Patienten sollen die Bypass-Operation nicht erlebt haben. Andere nahmen innerhalb von vier Wochen 2 kg ab und suchten sich danach einen anderen Operateur.

Können diese übergewichtigen Patienten mit vertretbarem Risiko operiert werden, oder müssen sich diese Patienten auf den entbehrungsreichen und in der Regel vergeblichen Weg der präoperativen Abnahme-»Kur« machen? Wenn sie abnehmen müssen, was sollte das Zielgewicht sein? Und wie sollen diese Patienten nachhaltig abnehmen, da eine regelmäßige körperliche Betätigung - eine entscheidende Voraussetzung für eine bleibende Gewichtsabnahme - bei symptomatischen KHK-Patienten problematisch beziehungsweise unmöglich ist?

Der Intuition folgend würden die meisten Ärzte wohl denken, dass besonders dicke Patienten (BMI > 35 kg/m 2 , zum Beispiel 1,60 m und 90 kg) ein erhöhtes OP-Risiko haben und sie daher »abspecken« müssen. Aber ist dem wirklich so? In diesem Heft stellen Ennker und Mitarbeiter Ergebnisse einer Arbeit vor [2], in welcher der peri- und postoperative Verlauf von 206 extrem übergewichtigen Patienten (BMI > 35 kg/m2) mit dem von 206 normgewichtigen Patienten verglichen wurde. Die 30-Tage-Letalität betrug in der normgewichtigen Gruppe 2,9 % und in der Gruppe adipöser Patienten 1,5 % (n. s.). Auch die Dauer auf der Intensivstation, die Beatmungsdauer und die Inzidenz einer respiratorischen Insuffizienz unterschied sich nicht. Lediglich Wundheilungsstörungen traten in der Gruppe adipöser Patienten häufiger auf. Diese Ergebnisse decken sich mit anderen Daten aus der Literatur. In der erwähnten Arbeit von Birkmeyer et al. [1] lag die Krankenhaussterblichkeit der adipösen Patienten bei ca. 3,2 % und unterschied sich nicht von der Sterblichkeitsrate normalgewichtiger Patienten (3,4 %). Eine aktuelle Arbeit aus diesem Jahr [3] bestätigt ebenfalls, dass die Diagnose einer Adipositas für sich genommen nicht gleichbedeutend ist mit einem komplizierten postoperativem Verlauf oder sogar einer erhöhten Letalität. Im Gegenteil: in der Studie von Schwann et al. an über 3600 Patienten, bei denen eine koronare Bypassoperation durchgeführt worden war [3], hatten Patienten mit dem niedrigsten BMI (< 24 kg/m2) das relativ höchste 30-Tage-Gesamtrisiko (Letalität 5 % im Vergleich zu 2,6 % bei Patienten mit einem BMI > 24 kg/m 2 ). Die synoptische Analyse dieser Daten macht deutlich, dass es nicht gerechtfertigt ist, eine Operation an übergewichtigen Patienten unter Hinweis auf ihr Übergewicht abzulehnen.

Diese Daten sollten jedoch nicht dazu missbraucht werden, die Adipositas als medizinisch unerheblich zu betrachten. In der Arbeit von Schwann et al. [3] wurde nämlich auch gezeigt, dass 1. das mittlere Alter der adipösen Patienten mit koronarer Herzerkrankung deutlich unter dem der normgewichtigen lag (61 Jahre vs. 65 Jahre) und dass 2. bei adipösen Patienten wesentlich häufiger ein Diabetes mellitus oder eine arterielle Hypertonie vorlagen. Befunde die von der aktuellen Arbeit von Ennker et al. [2] unterstützt werden. Da nachgewiesen ist, dass eine Gewichtsabnahme günstig auf die arterielle Hypertonie [4] und Stoffwechselparameter wirkt [5], wird man adipöse Patienten mit einer koronaren Herzerkrankung in jedem Fall nach der koronaren Bypass-Operation langfristig dazu anhalten müssen, ein gewichtsreduzierendes Leben zu führen, um das zukünftige koronare Risiko (Sekundärprävention) zu minimieren.

Literatur

  • 1 Birkmeyer N JO, Charlesworth D C, Hernadez F. et al . Obesity and risk of adverse outcomes associated with coronary artery bypass surgery.  Circulation. 1998;  97 1689-1694
  • 2 Ennker J, Schoeneich R, Schröder T. et al . Der Einfluss von extremer Adipositas auf den peri- und postoperativen Verlauf nach aortokoronarer Bypass-Operation.  Dtsch Med Wschr. 2001;  126 419-423
  • 3 Schwann T A, Habib R H, Zacharias A. et al . Effects of body size on operative, intermediate and longterm outcome after coronary artery bypass operation.  Ann Thorac Surg. 2001;  71 521-531
  • 4 Huang Z, Willett W C, Manson J E. et al . Body weight, weight change, and risk of hypertension in women.  Ann Intern Med. 1998;  128 81-88
  • 5 Goldstein D J. Beneficial health effects of modest weight loss.  Int J Obes Relat Metab Disor. 1992;  16 397-415

Priv.-Doz. Dr. C. A. Schneider
Prof. Dr. E. Erdmann (Korrespondenz) 

Klinik III für Innere Medizin, Universität zu Köln

Joseph-Stelzmann-Straße 9

50924 Köln

    >