Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(47): 1349-1350
DOI: 10.1055/s-2001-18565
Pro & Contra
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Renovaskuläre Hypertonie: Angioplastie muss nicht sein

Renovascular hypertension: angioplasty need not be essential
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Publication Date:
22 November 2001 (online)

Die renovaskuläre Hypertonie (RVH) ist die häufigste sekundäre Hypertonieform, die potenziell heilbar ist. Seit den Versuchen von Goldblatt ist bekannt, dass die Beseitigung einer Nierenarterienstenose (NAS) zur Blutdrucknormalisierung führen kann.

Die genaue Kenntnis der Pathophysiologie der RVH und die Entwicklung neuer therapeutischer Maßnahmen hat in den letzten drei Jahrzehnten einen ständigen Wandel in der Indikationsstellung zur Therapie zur Folge gehabt. Zwischen 1960 und 1970 begann man, angiographisch die Nierenarterien darzustellen. Bei Koinzidenz von Hypertonie und NAS wurde nach Risikoabwägung operiert und der mögliche Erfolg einer Blutdrucksenkung abgewartet. Die prognostische Bedeutung des seitengetrennten Nierenvenenrenins für den möglichen Erfolg einer Gefäßoperation führte zwischen 1970 und 1990 zu einem aufwendigen abgewogenen Handeln.

Seit Einführung und Verbreitung der perkutanen Ballon-Angioplastie wurde auf den Nachweis der funktionellen Bedeutung einer NAS bei bestehender Hypertonie zunehmend verzichtet und probatorisch eine Dilatation und/oder eine Stent-Versorgung durchgeführt.

Mehr und mehr beobachten wir, dass zufällig festgestellte Nierenarterienstenosen, insbesondere anlässlich einer Koronarangiographie, dilatiert werden, ohne zu reflektieren, ob ein behandlungsbedürftiger Hochdruck als Indikation vorliegt oder sogar eine verbesserungswürdige Niereninsuffizienz.

Die Erfolge der Angioplastie - gemessen an einer Beseitigung einer vorbestehenden arteriellen Hypertonie - sind in den letzten Jahrzehnten keinesfalls besser geworden und liegen um 40-70%. Die Alternativen einer medikamentösen auch bedingt »kausalen« Therapie sind jedoch in den letzten 20 Jahren nach Einführung der ACE-Hemmer und Ang II-Typ 1-Rezeptorenblocker erheblich verbessert worden.

Es ist unbestritten, dass junge schwer hypertone Patienten mit einer hochgradigen NAS, die bereits zur Verkleinerung der entsprechenden Niere geführt hat, von einer Angioplastie ohne großes Risiko regelhaft profitieren. Das Gros unserer Patienten mit NAS ist aber alt, multimorbid und hat makroangiopathische Veränderungen auch an Hirn- und Herzgefäßen.

Häufig wird verkannt, dass Angioplastie und Stent-Versorgung keinesfalls gefahrlose Therapie-Maßnahmen darstellen. Die seltenen Eingriffe bei jungen Patienten mit fibromuskulären NAS sind entsprechend komplikationsarm, während die Risiken von Angioplastien bei älteren Patienten mit schweren arteriosklerotischen Gefäßveränderungen unterschätzt werden. In [Tab. 1] sind die Studien aufgeführt, in denen prospektiv bei perkutaner Angioplastie (PTA) und/oder Stent-Versorgung Komplikationen registriert und gewertet wurden. Mehrheitlich wurden in diesen Studien Patienten ab dem 55. Lebensjahr behandelt.

Tab. 1 Komplikationen in Zusammenhang mit perkutaner Angioplastie (PTA) und Stent-Versorgung bei Patienten mit RVH. Studienübersicht modifiziert und erweitert nach Beek JA et al. 1. Literatur Eingriff Kompl./Pat. (%) schwer mittel leicht Mahler et al. (1986) PTA 12/105 (11) 4 3 5 Klinge et al. (1989) PTA 71/178 (40) 25 5 41 Martin et al. (1992) PTA 14/110 (14) 12 3 1 Weibull et al. (1993) PTA 75/101 (75) 21 17 37 Tykarski et al. (1993) PTA 5/30 (16) 2 2 1 Losinno et al. (1994) PTA 15/195 (8) 7 5 3 Gesamt 192/719 (37) 71 35 88 Rees et al. (1991) Stent 4/28 (14) 3 1 0 Wilms et al. (1991) Stent 8/12 (66) 1 1 6 Joffre et al. (1992) Stent 0/16 ( 0) 0 0 0 v.Kuhn et al. (1992) Stent 7/18 (39) 1 0 6 Dorros et al. (1993) Stent 10/92 (11) 0 10 0 Iannone et al. (1996) Stent 23/63 (37) 3 20 0 Beek et al. (1997) Stent 18/50 (36) 5 5 8 Gesamt 70/279 (40) 13 37 20

Komplikationen wurden als schwer (> 2 Tage stationär: Dialyse, Nierenfunktionsverlust und Nephrektomie, Gefäßruptur mit Operation, Cholesterinembolie mit Teilamputation) mittel (< 2 Tage stat.: vorübergehender Funktionsverlust der Nieren, retroperitoneales Hämatom, Pseudo-Aneurysma der A. femoralis, Transfusionsbedürftigkeit) oder leicht (Stent-Dislokation, diskrete Dissektion, Ballon geplatzt) eingestuft. Demnach muss bei einem »konservativen« Therapieversuch mit 5-10% an schweren Komplikationen gerechnet werden. Hierbei wurden Komplikationen wie Apoplex und Myokardinfarkt, die nachfolgend auftreten können, nicht mit berücksichtigt. Trotz des in der Regel aufwendigeren Eingriffes waren die Stent-Versorgungen mit niedrigeren Komplikationsraten behaftet, was u. U. damit zusammenhängt, dass diese in Zentren mit größerer interventioneller Erfahrung durchgeführt wurden.

Auch in umfassenden Studien über Ergebnisse der interventionellen Therapie einer RVH werden nur in 72 % aller Eingriffe von einem primären Erfolg berichtet, der einer medikamentenfreien Normotension entspricht ([2]). Hierbei scheint die Stent-Versorgung bessere Ergebnisse zu zeigen als die einfacher durchzuführende PTA [2]. Bereits nach 6 Monaten ist die Erfolgsrate auf 52% gesunken, das heißt, dass die Hälfte aller Patienten nicht oder nicht wesentlich von dem Eingriff profitiert haben.

Tab. 2 Pro und Contra Angioplastie, Patientenkriterien. Pro Contra *) ausgenommen progrediente Niereninsuffizienz bei Verdacht auf vaskuläre Genese Alter < 50 > 50 (insb. > 70) Schwere der Hypertonie WHO 2/3 WHO 1/2 Pathogenese NAS fibromuskulär atherosklerotisch Ausmaß der Arteriosklerose Gering stark Nierenfunktion gut eingeschränkt*

Warum ist der Effekt der Beseitigung einer Nierenarterienstenose so enttäuschend? Natürlich auch, weil die hämodynamische Wirksamkeit einer NAS nicht nachhaltig (mehr) bewiesen wird. Funktionelle Prüfungen sind entweder zu aufwendig (seitengetrennte Nierenvenenrenin-Bestimmung), zu wenig sensitiv (Captopril-Renin, Doppler-Sonographie) und/oder spezifisch (Captopril-Szintigraphie). Intraarterielle Druckmessungen mit herkömmlichen Druckkathetern sind aufwendig und zeitraubend, werden entsprechend nur selten vorgenommen und überschätzen zudem häufig den prä-/poststenotischen Druckunterschied ;- alleine durch den Durchmesser eines Katheters mit einem Querschnitt von > 2,5 mm2. Nur moderne Druckdrähte erlauben eine korrekte Beurteilung der Druckdifferenz mit der allerdings offenen Frage, ab welcher Druckdifferenz die Reninaktivität entscheidend stimuliert wird.

Zudem wird bei den arteriosklerotischen Nierenarterienstenosen, der weit überwiegenden Mehrzahl aller NAS, häufig vergessen, dass ein vorbestehender Hochdruck als entscheidender Risiofaktor für die Entstehung der NAS sorgte und dieser vorbestehende Hochdruck naturgemäß nach Beseitigung seiner Komplikation nicht verschwindet.

In Anbetracht des nur geringen Erfolges einer PTA gerade bei älteren Patienten und des nicht unerheblichen Risikos muss die Alternative, nämlich die effektive medikamentöse Langzeittherapie, vergleichend gewürdigt werden.

Bislang liegt nur eine große Studie vor, in der beide Behandlungsverfahren, die PTA bzw. Stent-versorgung und die medikamentöse Therapie miteinander verglichen wurden.

Van Jaarsfeld et al. [3] berichteten vor kurzem von den Ergebnissen der holländischen Kooperationsstudie: 106 Patienten im Alter von 60 ± 10 Jahren mit RVH auf dem Boden einer atherosklerotischen NAS (>50%) ohne fortgeschrittene Niereninsuffizienz (Kreatinin < 2,5 mg%) wurden randomisiert medikamentös (50) oder durch PTA (56) behandelt. Von den initial medikamentös therapierten Patienten wurden nach 3 Monaten bei Kreatinin-Anstieg (> 0,2 mg%) oder Blutdruck-Akzeleration (pdiast > 95 mm Hg trotz Dreifach-Therapie) 22 einer PTA unterzogen. Nach 12 Monaten gab es keinen Unterschied in Blutdruckhöhe, Nierenfunktion oder der notwendigen medikamentöse Therapie zwischen der Gruppe der invasiv mit PTA behandelten Patienten und denjenigen, die von vornherein medikamentös eingestellt wurden.

Entsprechend diesen von van Jaarsfeld prospektiv (!) erworbenen Erkenntnissen sollte gerade bei dem Gros unserer hypertonen Patienten mit NAS eine deutliche Zurückhaltung bei der Indikationsstellung der PTA ausgesprochen werden, wobei die in [Tab. 2] aufgeführten Patientenkriterien eine Entscheidungshilfe sein können.

Literatur

  • 1 Beek F JA, Kaatee R, Beutler J J, van der Ven P J, V W P. Complications during renal artery stent placement for atherosclerotic ostial stenosis.   Cardiovasc Intervent Radiol. 1997;  20 184-90
  • 2 Van der Ven P J, Kaatee R, Beutler J J. et al. . Arterial stenting and balloon angioplasty in ostial atherosclerotic renovascular disease: a randomised trial.  Lancet. 1999;  353 282-6
  • 3 Van Jaarsfeld B C, Krijnen P, Pieterman H J. et al. . The effect of balloon angioplasty on hypertension in atherosclerotic renal-artery stenosis. Dutch Renal Artery Stenosis Intervention Cooperative Study Group.  N Engl J Med. 2000;  342 1007-14

Prof. Dr. Th. Philipp

Abteilung für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Medizinische Klinik und Poliklinik

Universitätsklinikum Essen

Hufelandstraße 55

45122 Essen

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