Krankenhauspsychiatrie 2001; 12(S2): S67
DOI: 10.1055/s-2001-19495
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Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

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Publication Date:
10 January 2002 (online)

Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,im Namen des Bezirks Oberfranken heiße ich Sie alle zum Workshop „Enthospitalisierung - Ergebnisse und Probleme” im Bezirkskrankenhaus Bayreuth recht herzlich willkommen.

Die Situation der psychisch Langzeitkranken in den Bezirkskrankenhäusern hat die Fachöffentlichkeit bereits seit der Psychiatrie-Enquete der Bundesregierung 1975 immer wieder beschäftigt. Die Erfahrungen der letzten 10 - 15 Jahre zeigen, dass viele chronisch verlaufende psychische Erkrankungen durchaus noch beeinflussbar sind. Wir wissen heute, dass selbst hospitalisierte Langzeitkranke mit jahrzehntelangen Anstaltskarrieren ein weitgehend selbstbestimmtes Leben in ganz normalen Wohnungen führen können, sofern sie geeignete Hilfen und Betreuung erhalten. Gleichzeitig ist deutlich geworden, dass die psychiatrischen Krankenhäuser als „dauerhafte Heimat” für diese Menschen nicht geeignet sind. Das moderne psychiatrische Fachkrankenhaus ist - wie das somatische Allgemeinkrankenhaus - kein Ort der Normalität und damit für eine langfristige und dauerhafte Unterbringung und Betreuung psychisch Kranker ungeeignet. Es bietet zwar umfassende Fürsorge. Andererseits fördert es Passivität und soziale Isolierung. Aufbauend auf diesen wegweisenden Erkenntnissen haben die bayerischen Bezirke am 22. 10. 1993 ein Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung der Versorgung psychisch Langzeitkranker verabschiedet.

Danach sollten die bei den Bezirkskrankenhäusern 1993 noch vorhandenen Langzeitpflegebereiche mit rund 2800 Plätzen innerhalb von 10 Jahren auf ein Viertel (etwa 700 Plätze) reduziert werden. Die sogenannten Langzeitpflegebereiche der Bezirkskrankenhäuser sind mittlerweile alle vollständig aufgelöst. Allerdings wurden insbesondere auch aufgrund der Anforderungen der gesetzlichen Pflegeversicherung eigenständige psychiatrische Pflegeheime bei einem Teil der Bezirkskrankenhäuser errichtet. In den Pflegeheimen der bayerischen Bezirke wurden im letzten Jahr insgesamt noch knapp 1000 Plätze vorgehalten. Ausgehend von dem Rahmenkonzept des Verbandes der bayerischen Bezirke aus dem Jahr 1993 müssen daher in den Bezirkspflegeheimen - als „Rechtsnachfolger” der ehemaligen Langzeitpflegebereiche - bis Ende 2003 bayernweit noch ca. 300 Plätze abgebaut werden.

In Oberfranken wurden Anfang 1993 im Bezirkskrankenhaus Bayreuth und im Bezirksklinikum Obermain 223 Langzeitpflegepatienten betreut. Heute halten die bezirkseigenen Pflegeheime Kutzenberg und Bayreuth insgesamt 60 Plätze für psychisch Kranke und Behinderte vor. Das heißt, Oberfranken hat die 1993 beschlossene Zielvorgabe der Verringerung der Langzeitpflegebereiche faktisch bereits heute umgesetzt.

Dennoch gibt es auch in Oberfranken noch viel zu tun. Nur ein Teil der ehemaligen Langzeitpatienten wurde in individuelle Wohnformen (betreutes Einzel- oder Paarwohnen, betreute Wohngemeinschaften) überführt. Der Großteil der ehemaligen Langzeitpatienten wurde auch in Oberfranken in stationäre Heime für psychisch Behinderte verlegt, die teilweise erst in den letzten Jahren entstanden sind. Manche sprechen daher nicht von „Enthospitalisierung”, sondern von einer „Umhospitalisierung”.

Auch wenn sich die Lebensqualität der psychisch Kranken und Behinderten in den Heimen gegenüber den früheren Langzeitpflegebereichen erkennbar verbessert hat, muss die Anfang der 90er Jahre begonnene Entwicklung weitergeführt werden. Die vorhandenen Heime müssen sich wandeln und für Wohnformen öffnen, die stärker den individuellen Bedürfnissen entsprechen. Vollstationäre Heimplätze herkömmlicher Prägung müssen vermehrt durch Außenwohngruppen, therapeutische Wohngemeinschaften und betreutes Einzelwohnen ersetzt werden.

Diese Zielsetzung kann sicher nicht von heute auf morgen erfolgen. Diese Entwicklung wird wohl wiederum einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, wobei die Geschwindigkeit im Wesentlichen vom weiteren Ausbau des ambulant-komplementären Angebots abhängen wird. Nur bei einem ausreichenden ambulanten Betreuungsangebot durch Sozialpsychiatrische Dienste, Tagesstätten etc. können chronisch psychisch Kranke auch dauerhaft in individuellen Wohnformen leben.

Dennoch - und das zeigen auch die Erfahrungen in Oberfranken in den letzten Jahren - wird auch in Zukunft zumindest für einen Teil der chronisch psychisch Kranken die Unterbringung in einem vollstationären Heim unerlässlich bleiben. Ich denke hier nur an den Personenkreis mit Doppeldiagnosen (z. B. Psychosen und Suchterkrankung) oder an Menschen mit einem übersteigerten Aggressionspotenzial.

An den genannten Beispielen sehen Sie, wie vielschichtig und differenziert die Problematik insgesamt ist. Ich freue mich daher, dass das Bezirkskrankenhaus Bayreuth unter der ärztlichen Leitung von Herrn Prof. Dr. Manfred Wolfersdorf heute Gastgeber eines hochrangig besetzten Workshops zum Thema „Enthospitalisierung” ist. Ich hoffe und wünsche, dass die heutige Veranstaltung dazu beiträgt, wichtige Anregungen für die tägliche Praxis und neue Erkenntnisse für die weitere Gestaltung der Zukunft zu gewinnen.

Edgar Sitzmann, Bezirkstagspräsident 

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