Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(1/2): 44
DOI: 10.1055/s-2002-19421
Fragen aus der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Welchen Sinn hat die Messung des 2-Stunden-Wertes der Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit?

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Publication Date:
04 January 2002 (online)

Frage: Aus der Fülle der in letzten 10 Jahren in der DMW erschienenen Arbeiten zu unterschiedlichen Themenkreisen geht hervor, dass die Autoren die Messung der Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit (BSG) in einer und in zwei Stunden einigen Wert beimessen. Nun ist aber - auch seit längerem - bekannt, dass die Messung des Wertes der BSG in der zweiten Stunde ohne zusätzliche Aussagekraft ist. Allerdings wird in dem Standard-Laboratoriums-Werk eingeräumt, dass von einigen Untersuchern zusätzlich auch nach zwei Stunden abgelesen wird. - Wie ist die Messung des 2-Stunden-Wertes der BSG unter den Prämissen einer evidenzbasierten Medizin zu werten?

Antwort: Die Bestimmung der Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit (BSG) in der heutigen Form geht auf Wester-gren, nach Vorarbeiten von Biernacki und Fåhraeus, zurück [1] [2] [3], wobei Westergren die Senkungsreaktion nicht nur nach einer und zwei Stunden, sondern auch nach 24 Stunden abgelesen hat. Damit sollten die Zuverlässigkeit und die Deutlichkeit der Ergebnisse verbessert werden. Außerdem sah Westergren die Möglichkeit, mit Hilfe des 1- und 24-Stunden-Wertes den Hämoglobingehalt der Probe zu bestimmen [3]. Dass kleinste Veränderungen im Aufbau und Ablauf der BSG die Vergleichbarkeit beeinflussen, war schon Westergren wohlbekannt. Das International Council for Standardization in Haematology (ICSH) - Expert Panel on Blood Rheology - hat deshalb eine Referenzmethode, auf der Basis der Westergren-Methode definiert. Diese wurde wegen des gestiegenen Hygienebewusstseins und Schwierigkeiten, geeignete Geräteausstattungen zu erhalten, im Jahre 1993 durch eine Standardmethode ergänzt bzw. abgelöst [4]. In dieser Standardmethode wird die BSG nach 60 Minuten abgelesen. Die ICSH erwähnt zwar weitere mögliche Ablesezeitpunkte, stellt aber auch fest, dass deren Wertigkeit noch zu beweisen wäre. Uns ist auch bis heute keine Arbeit bekannt, die genügend Argumente für die Bestimmung des 2-Stunden-Wertes der BSG aufzeigt. Wenn nun in Artikeln der letzten Jahre der 2-Stunden-Wert der BSG erwähnt wird, so dürfte dieses eher aus Gründen der Tradition, als aus Gründen der Evidenz erfolgen. Über die allgemeine Wertigkeit und Grenzen der BSG geben eine Vielzahl von Artikeln Auskunft, wobei hier nur einige wenige Reviews beispielhaft erwähnt werden können [5-7]. Zusammenfassend hat die BSG in den letzten Jahren in dem Maße an Bedeutung verloren, wie neue Methoden zur Erkennung und Verlaufsbeobachtung von Erkrankungen entwickelt wurden. Trotzdem hat die BSG in der Verlaufsbeobachtung einiger entzündlicher Erkrankungen, wie der rheumatoiden Arthritis und in der Diagnostik der Arteriitis temporalis und der Polymyalgia rheumatica noch eine große Bedeutung. Zur Krankheitssuche, insbesondere bei asymptomatischen Personen sollte sie aufgrund ihrer schlechten Sensitivität und Spezifität nicht eingesetzt werden. Auch ein billiger Test ist teuer, wenn er zu oft angewendet wird. Zur Abklärung eines falsch-positiven Laborergebnisses werden oft weitere teure Untersuchungen benötigt, und in vielen klinisch klaren Fällen bringt die BSG keine zusätzlichen Erkenntnisse.

Literatur

  • 1 Biernacki E. Über die Beziehung des Plasmas zu den rothen Blutkörperchen und über den Werth verschiedener Methoden der Blutkörperchenvolumenbestimmung.  Zeitschr physiol Chemie. 1894;  19 179-224
  • 2 Fåhraeus R. The suspension-stability of the blood.  Acta Med Scand. 1921;  55 1-228
  • 3 Westergren A. The technique of the red cell sedimentation reaction.  Am Rev Tuberc. 1926;  14 94-101
  • 4 International Council for Standardization in Haematolgy (Expert Panel on Blood Rheology) . ICSH recommendations for measurement of erythrocyte sedimentation rate.  J Clin Pathol. 1993;  46 198-203
  • 5 Zlonis M. The mystique of the erythrocyte sedimentation rate. A reappraisal of one of the oldest laborartory tests still in use.  Clin Lab Med. 1993;  13 787-800
  • 6 Olshaker J S, Jerrard D A. The erythrocyte sedimentation rate.  J Emerg Med. 1997;  15 869-874
  • 7 Brigden M. The erythrocyte sedimentation rate: Still a helpful test when used judiciously.  Postgrad Med. 1998;  103 257-262, 272 - 274

Autoren

Dr. M. Ossendorf
Prof. Dr. H. Renz

Abteilung Klinische Chemie und Molekulare Diagnostik, Klinikum der Philipps-Universität Marburg

Baldingerstraße

35033 Marburg

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