Psychother Psychosom Med Psychol 2002; 52(9/10): 373
DOI: 10.1055/s-2002-34291
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Horst  Kächele
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Publication Date:
23 September 2002 (online)

Nicht nur an der AktienBörse schwanken, sondern auch die Bewertung der pharmakologischen Therapie mit den modernen Antidepressiva: Hype or Help? ist das Stichwort einer derzeitigen Internet-Diskussion:

Am 21. Juni verkündet die Agentur HEALTH SCOUT NEWS (http://healthscout.com), die neuere Generation der Antidepressiva habe die Art und Weise, wie Depressionen behandelt werden können, revolutioniert. Demgegenüber spricht energisch und maliziös Prof. Dr. Giovanni Fava [1], ein Doppellehrstuhlinhaber in Bologna und SUNY und Herausgeber der führenden europäischen Zeitschrift (was den Impact-Faktor angeht) „Psychotherapy and Psychosomatics” von gezielter, organisierter Propaganda, was die gegenwärtige Verschreibungspolitik von Antidepressiva betrifft. Er zeigt mit dem Finger auf propagandainduzierte selektive Aufmerksamkeit für die pharmakologischen Aspekte der Depressionstherapie, die von anderen wichtigen Aspekten ablenke. So bestehe u. a. kein Zusammenhang zwischen der Dauer der Medikation und dem Ausmaß der Rückfallhäufigkeit nach Absetzen der Medikation, wie behauptet wird. Für unser Fach bedeutsam ist sein Hinweis, dass nichtpharmakologische Strategien der Rückfallprophylaxe von vielen Psychiatern vernachlässigt werden, obwohl inzwischen schon Diabetologen Life-style-Änderungen als wesentlich zur langfristigen Vorbeugung halten.

Ähnliche Konflikte werden durch eine neuere Studie thematisiert: bei der Behandlung der Depression sind Antidepressiva sind nicht viel wirksamer als Plazebopillen. Die Studie von Khan et al. (2000) [2] wertete 96 randomisiert-kontrollierte Studien zur medikamentösen Behandlung mit modernen Antidepressiva mit insgesamt 23 201 teilnehmenden Patienten aus, die im Auftrag der Food and Drug Administration durchgeführt wurden. Die symptomatische Besserung betrug 40,7 % für die neueren Medikamente, 41,7 % für Vergleichpräparate und 30,9 % für Plazebogabe. Die Dogmatiker der Szene lehnen sich beruhigt zurück und sagen: nicht von Bedeutung. Sie verweisen auf die auch statistisch signifikanten Unterschiede von Verum und Plazebo. Die pikante Frage, die der Tim Kelly, Berichterstatter von der Washington Post am 29. Juli 2002, jedoch aufwirft, rückt die Frage nach dem Wirkungsmodus des Plazebo in den Mittelpunkt: how come. Reicht es aus, das aggressive Marketing der Madison Avenue Leute als publikumswirksames Momentum zu benennen. Und sollte dann nicht ebenfalls große Finanzkraft in Grundlagenforschung zum Thema Plazebo gesteckt werden (ssd. Walach u. Saghiani 2002) [1]. Und der Reporter erwähnt nicht nur zufällig den legislativen Kontext in den USA. Derzeit wird geprüft, ob seelische Krankheiten den körperlichen gleichgesetzt werden sollen: „Mental Health Parity” ist das Schlagwort, mit dem wir uns auch immer wieder plagen müssen. Wenn dies ein Rechtsanspruch aber bei uns wäre, dann könnten Routineuntersuchungen bezüglich der Depressivität somatischer Kranker Alltag werden, wie dies unlängst die Heidelberger Psychosomatiker erneut gefordert haben. Auch sind Tagessätze von 120 Euro für psychosomatische Tageskliniken nicht gerade üppig: Hochdosistherapie für Borderline-Patienten ist damit wohl kaum angemessen zu finanzieren und doch sind diese Patienten extensive User des Gesundheitssystems. Woran liegt es, dass auch bei uns Grundlagenforschung, entsprechend der biochemisch-molekularbiologischen Grundlagenforschung als Grundlegung von zu entwickelnden Therapiestrategien bislang nur einzelnen Bereichen Überzeugendes leisten konnte?

Wenn das Gold der pharmakologischen Therapiestudien weniger glanzvoll erscheint, könnte dies uns nur Recht sein. Nur müssen wir lernen, unser eigenes Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.

Horst Kächele, Ulm

Literatur

  • 1 Fava G A. Long-term treatment with antidepressant drugs: The spectacular achievements of propaganda.  Psychotherapy and Psychosomatics. 2002;  71 127-132
  • 2 Khan A, Warner H, Brown W. Symptom reduction and suicide risk in patients treated with placebo in antidepressant clinical trials - An analysis of the food and drug adminiustration database.  Arch Gen Psychiat. 2000;  57 311-317
  • 3 Walach H, Sadaghiani C. Plazebo und Plazeboeffekte - Eine Bestandsaufnahme.  Psychother Psych Med. 2002;  52 332-342

Horst Kaechele,M. D. 

University of Ulm · Department of Psychotherapy and Psychosomatic Medicine

Am Hochstraess 8

89081 Ulm

Email: kaechele@sip.medizin.uni-ulm.de