Rofo 2004; 176(5): 661-663
DOI: 10.1055/s-2004-813107
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Terminologia Anatomica: Der neue nomenklatorische Standard für den Radiologen

International Anatomical Terminology: The New Standard of Nomenclature for the RadiologistW. A. Golder1
  • 1Institut für Klinische Radiologie, DRK Kliniken Westend, Berlin
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Publication Date:
06 May 2004 (online)

Das anatomische Vokabular ist keineswegs so unveränderlich, wie es gewöhnlich den Anschein hat. Auch die makroskopische Anatomie ist eine lebendige Wissenschaft. Immer wieder werden neue Begriffe kreiert und alte, fast vergessene Termini kehren zurück. Die Anregungen dazu kommen nicht nur von den Vertretern des Faches [1] [2] [3] [4], sondern auch aus Kreisen der Anwender. Umgekehrt müssen sich Kliniker immer wieder den Hinweis darauf gefallen lassen, dass sie in ihren Vorträgen und Veröffentlichungen gegen die offizielle anatomische Terminologie verstoßen. Grignon et al. [5] stellten bei der Analyse des anatomischen Vokabulars von Aufsätzen aus französischen Röntgenjournalen in 40 % derartige Verstöße fest.

Über etwa ein Jahrhundert hinweg ist das anatomische Vokabular weltweit von den Nomina Anatomica bestimmt worden. Die Namen dreier Städte stehen für die Prägung dieser akademischen Institution. Die Urfassung entstand im Jahre 1895 auf einem Kongress der anatomischen Gesellschaft unter der Leitung von Wilhelm His in Basel (Basler Nomina Anatomica, BNA). Nach vier Jahrzehnten (1935) wurde sie von den Jenaer Nomina Anatomica (JNA) abgelöst. Weitere zwanzig Jahre später (1955) folgten die Pariser Nomina Anatomica (PNA). Diese dritte große, später nur noch als Nomina Anatomica bezeichnete Revision erlebte sechs Auflagen, die letzte 1989. Im gleichen Jahr billigte die Generalversammlung der International Federation of Associations of Anatomists die Gründung eines Komitees (Federative Committee on Anatomical Terminology, FCAT), dem der Auftrag erteilt wurde, die offizielle Terminologie der anatomischen Wissenschaften „auf demokratische Weise”, d. h. nach Konsultation aller Mitgliedsgesellschaften, zu erarbeiten [6]. Diese Initiative war längst überfällig gewesen. Zu viele Widersprüche waren in den 70er- und 80er-Jahren in den Nomina Anatomica aufgedeckt, zu viel Kritik an ungeeigneten oder zu komplexen Termini geäußert worden. Das Vokabular, das einst die Weltsprache der morphologisch orientierten Disziplinen werden sollte, war selbst von den Verfassern vieler anatomischer Lehrbücher nicht konsequent benutzt worden.

Acht Jahre dauerte die Arbeit an der neuen internationalen Terminologie der Makroanatomie und topographischen Anatomie des Menschen. Im August 1997 wurde das Opus verabschiedet, im darauf folgenden Jahr als Buch und CD-ROM veröffentlicht [7]. Das Verzeichnis enthält 7500 Stichwörter; viele klinisch-anatomische Begriffe sind verändert oder neu aufgenommen worden. Dafür hat man die mit Eigennamen verbundenen Termini aus dem Hauptverzeichnis entfernt; sie sind jetzt in einem separaten Index der Eponyme zu finden und sollen in dieser Form den Zugang zur alten Literatur erleichtern. Das Verzeichnis besteht aus zwei Teilen. Im ersten werden die allgemeinen und topographischen Termini aufgelistet, im zweiten die Termini der systematischen Anatomie in einer streng hierarchischen Gliederung, d. h. nach Organtrakten bzw. Organgruppen und den einzelnen Organen bzw. Kompartimenten der Organe. Dem globalen Anspruch seiner Initiatoren entsprechend, ist das Verzeichnis durchgehend zweisprachig. Der Doppeltitel (Terminologia Anatomica/International Anatomical Terminology) deutet es unübersehbar an. Jedem lateinischen Terminus ist das englische Äquivalent direkt gegenübergestellt. Als Basis für die Übertragung in andere Sprachen soll aber ausschließlich die lateinische Version verwendet werden [8].

Für den Radiologen hält das neue anatomische Vokabular im Allgemeinen wie im Speziellen eine Reihe zum Teil überraschender Änderungen bereit. Der Lymphknoten heißt nun Nodus lymphoideus. Die vertrauten Alternativen (Nodus lymphaticus, Lymphonodus) dürfen zwar weiterhin gebraucht werden, gelten aber als zweitrangig. Ob diese Änderung Bestand haben wird, ist fraglich. Schon hat sich eine Stimme aus dem Lager der Anatomen erhoben, die beklagt, dass das Adjektiv lymphoideus nur die Ähnlichkeit mit, nicht aber eine feste Beziehung zum lymphatischen Gewebe beschreibe und daher zur Bezeichnung der Knoten ungeeignet sei [9]. Eine vergleichbare Schwierigkeit geht von der AV-Anastomose aus. Obwohl der Begriff anastomosis arteriovenosa für die natürlichen Gefäßkurzschlüsse allgemein gebräuchlich ist, gibt das Nomenklatur-Komitee der ungewohnten Alternative anastomosis arteriolovenularis den Vorzug. Damit soll besser als bisher zum Ausdruck gebracht werden, dass der Shunt nicht eine Arterie und eine Vene, sondern eine Arteriole und eine Venole verbindet.

Literatur

  • 1 Anderhuber F, Weiglein A. Zur Nomenklatur der Nierengefäße.  Anat Anz. 1992;  174 229-234
  • 2 Caplan I. Anatomical review of the lymph nodes of the human mediastinum.  Surg Radiol Anat. 1990;  12 9-18
  • 3 Pauza D H, Pauziene N, Tamsauskas K A. et al . Hilum of the heart.  Anat Rec. 1997;  248 322-324
  • 4 Staubesand J, Steel F, Li Y. The official nomenclature of the superficial veins of the lower limb: a case for revision.  Clin Anat. 1995;  8 426-428
  • 5 Grignon B, Roland J, Braun M. Employment of the anatomical terminology of the Nomina Anatomica in the radiologic literature.  Surg Radiol Anat. 1995;  17 289-291
  • 6 FCAT - Federative Committee on Anatomical Terminology .Terminologia Anatomica - International Anatomical Terminology. Stuttgart/New York; Thieme 1998
  • 7 Whitmore I. Terminologia anatomica: new terminology for the new anatomist.  Anat Rec. 199; 
  • 8 Drukker J, Walvoort H C. Terminologia anatomica: a new reference work for anatomy.  Ned Tijdschr Geneeskd. 2000;  144 890-893
  • 9 Krmpotic-Nemanic J, Vinter J. Missing and incorrect terms in Terminologia Anatomica (1998).  Ann Anat. 2003;  185 387-388
  • 10 Haines D E. On the question of a subdural space.  Anat Rec. 1991;  230 3-21
  • 11 Van Denabeele F, Creemans J, Lambrichts I. Ultrastructure of the Human spinal arachnoid mater and dura mater.  J Anat. 1996;  189 417-430
  • 12 Couinaud C. Le foie - Études anatomiques et chirurgicales. Paris; Masson 1957
  • 13 Van Damme J PJ. Behavioral anatomy of the abdominal arteries.  Surg Clin North Am. 1993;  73 699-725
  • 14 Rosenberg J C, DiDio L JA. In vivo appearance and function of the termination of the ileum as observed directly through a caecostomy.  Am J Gastroenterol. 1969;  52 411-419
  • 15 McNeal J E, Redwine E A, Freiha F S. et al . Zonal distribution of prostatic adeno-carcinoma. Correlation with histologic pattern and direction of spread.  Am J Surg Pathol 1988. 12 897-906
  • 16 Jastrow H, Vollrath L. Anatomy online: presentation of a detailed WWW atlas of human gross anatomy - reference for medical education.  Clin Anat. 2002;  15 402-408
  • 17 Rosse C. Terminologia anatomica: considered from the perspective of next-generation knowledge sources.  Clin Anat. 2001;  14 120-133

Prof. Dr. Werner Golder

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