intensiv 2004; 12(6): 301
DOI: 10.1055/s-2004-813557
Leserbrief

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Leserbrief

Stefan Köberich
  • 1Univ.-Klinik Freiburg, Abt. Kardiologie/Angiologie
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Publication Date:
09 November 2004 (online)

Stellungnahme

Sehr geehrter Herr Pope,

vielen Dank für Ihren konstruktiven Leserbrief, der auch mich dazu veranlasst hat, noch einmal über das von mir dargestellte Fallbeispiel und die in diesem Fall getroffene Entscheidung nachzudenken, auch auf dem Hintergrund Ihres Hinweises auf die Werteanalyse von Kliesch et al. und der damit zusammenhängenden Entscheidungsfindung. Hierzu möchte ich folgende Überlegungen darlegen:

Ethische Entscheidungen bedürfen einer klaren Darstellung des Diskussionsgegenstands. Anscheinend ist es mir in meinem beschriebenen Fallbeispiel nicht gelungen, Umstände und die Persönlichkeit der Patientin sowie ihre Einstellungen und Vergangenheit ausreichend im Sinne des hermeneutischen Fallverstehens darzustellen. Somit kann es natürlich möglich sein, dass die von mir getroffene Entscheidung gegenüber der Patientin bevormundend erscheint. Dieser Kritik muss ich mich beugen. Trotzdem halte ich an meiner Entscheidungsfindung fest, vor allem unter dem Hinweis, dass der mutmaßliche Wille von der in meinem Fallbeispiel dargestellten Patientin für mich nicht klar erschien. In diesem Fall kommen auch Kliesch et al. 1 in ihrem Fallbeispiel zu dem Schluss: „Gelingt es nicht, den Willen von Frau Kaiser mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu belegen, so müssen alle Maßnahmen zur Lebenserhaltung, jedoch nicht zur Leidens­verlängerung getroffen werden.” Vielleicht hätte ich mich in einer ähnlichen Situation anders entschieden, wenn für mich der Wille der Patienten endgültig und mit an „Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu belegen” gewesen wäre. Ohne das von Ihnen als höchsten Wert dargestellte Selbstbestimmungsrecht und die Unverletzlichkeit der menschlichen Würde infrage zu stellen, möchte ich die Frage aufwerfen, inwieweit eine derartige Hierarchisierung solcher Werte im Kontext deontologischer Ethik gerechtfertigt ist. Welche ethische „Richtung” im pflegespezifischen Kontext ist die richtige? Ist es richtig, nur den moralischen Wert unserer Handlung zu beurteilen, oder ist es nicht auch sinnvoll, den Wert eines Ziels im Sinne eines utilitaristischen Ansatzes zu betrachten? Worauf ich hinaus will, ist die von mir vertretene Meinung, dass es keine allgemeingültige Entscheidung geben kann und geben darf. Auch die Verletzung des Selbstbestimmungsrechts darf kein Tabuthema sein, soll aber nicht zu willkürlichen, autoritären Handlungen führen. Eine Mobilisation gegen den Willen des Patienten ist nur die Spitze des Eisbergs täglicher Überschreitungen des Patientenwillens. Ich denke hier nur an die Vernachlässigung des Intimbereichschutzes oder der von vielen Patienten ungeliebten Mundpflege. Grenzüberschreitungen fangen im Kleinen an (und vor allem im sprachlichen Bereich). Ich habe manchmal den Eindruck, dass dies schon zur Sozialisation Pflegender und anderer im Krankenhaus beschäftigter Berufsgruppen gehürt. Dagegen gilt es durch reflektiertes Handeln anzugehen.

In jedem Fall möchte ich Ihnen noch einmal für Ihre auch für mich wertvollen Hinweise und Gedanken bedanken. Lassen Sie mich der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass ethische Diskurse auch weiterhin im Alltag der Pflege und insbesondere der Intensivpflege ein Bestandteil sein werden.

Stefan Köberich

Kartäuserstraße 1

79102 Freiburg

Email: stefan.koeberich@epost.de

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