Geburtshilfe Frauenheilkd 2005; 65(2): 137-138
DOI: 10.1055/s-2004-830534
Editorial

Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Frau mit primärem Mammakarzinom - im Spannungsfeld von Medizin und Politik

Women With Primary Breast Cancer - The Conflicting Priorities Between Medicine and PoliticsM. W. Beckmann1
  • 1Universitätsfrauenklinik Erlangen-Nürnberg
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. März 2005 (online)

Im Jahr 2003 sind nach Schätzungen 47 500 Neuerkrankungen an Mammakarzinomen aufgetreten, 360 000 Frauen sind bei Zustand nach Mammakarzinombehandlung aktuell ohne Rezidiv oder Metastasen, 55 000 Frauen sind in der metastasierten Situation und 16 600 Frauen sind an Mammakarzinom verstorben. Diese Zahlen und die Effekthascherei durch Pressemitteilungen, dass die Versorgungsstrukturen und damit die Qualität der Behandlung in Deutschland unter dem europäischen Standard sind, haben die Mammakarzinomerkrankungen ins Zentrum der politischen Diskussion geführt. Sachlich sind die Argumente über die höhere Mortalität, insbesondere im Vergleich zu den USA und Großbritannien nicht nachvollziehbar, da in Deutschland aufgrund der fehlenden Dokumentationspflicht keine vergleichbaren flächendeckenden Daten zum Resultat der Mammakarzinombehandlung vorliegen. So zeigt sich aber im Gegensatz zu Pressemitteilungen z. B. für die gut dokumentierten prospektiven Untersuchungen deutscher Studiengruppen, dass diese international auf ausgesprochen hohem kompetitiven Niveau sind. Dieses als Hintergrund für die aktuellen Diskussionen um neu zu implementierende Versorgungsstrukturen bzw. -qualität.

Die Ratsuchende betritt die Versorgungskette mit dem Mammographiescreening (eine flächendeckende Versorgung ist hier in den nächsten zwei Jahren zu erwarten) und verlässt diese nach entsprechender Diagnostik, Therapie und Rehabilitation in die Nachsorge. Interdisziplinäre Betreuungsstrategien sind gefragt (Abb. [1]).

Abb. 1 Versorgungsoptionen (modifiziert nach Neumann und Tuschen).

Die Versorgungsstrukturen (Abb. [2]) umfassen zum einen neu etablierte Strukturen, die bis zum Jahr 2003 nicht Bestandteil des deutschen Gesundheitssystems waren wie z. B. Disease-Management-Programme, Diagnosis Related Groups oder Brustzentren und die Ergänzung vorhandener Strukturen, wie die Erweiterung von Standards, Leitlinien und Richtlinien, spezieller klinischer und epidemiologischer Krebsregister und Qualitätssicherungsmaßnahmen auf allen Versorgungsebenen.

Abb. 2 Zu implementierende Versorgungsstrukturen.

Zentraler Bestandteil der Versorgungsstruktur der Brustkrebspatientin ist das Disease-Management-Programm (DMP) Mammakarzinom, eines von derzeit zwei in Deutschland zu implementierenden DMP-Programmen. Durch den Risiko-Strukturausgleich soll durch spezielle Programme für chronisch Erkrankte (z. B. Diabetes mellitus, koronare Herzerkrankung, chronische Atemwegserkrankungen) ein finanzieller Ausgleich zwischen den Kassen geschaffen werden. Mit dem Einsteigen in ein DMP erhält der zentrale Koordinator eine Steuerungsfunktion, die in den nachfolgenden Jahren die Patientin kontinuierlich im Verlauf der Erkrankung begleiten, bzw. notwendige diagnostische und therapeutische Maßnahmen koordinieren soll. Eingeführt sind DMPs bis dato in NRW, Schleswig-Holstein, Hessen und Baden-Württemberg, Bayern hat die Implementierung am 1. 1. 2005 geplant. Die neben dem zentralen Koordinator notwendige Struktur ist die Definition von DMP-Zentren (den so genannten Brustkrebszentren). Während DMP-Kliniken auf Landesebene unterschiedlich definiert werden können, ist das flächendeckende nationale Ziel eine Zertifizierung von speziellen Brustkrebszentren nach Kriterien der Deutschen Krebsgesellschaft bzw. Deutschen Gesellschaft für Senologie. Unter Erfüllung des Anforderungskataloges beider Fachgesellschaften werden Kriterien zur Struktur, Qualität und Dokumentation definiert. Ein hier insbesondere auch die Forschung betreffender Bereich ist die Notwendigkeit zur Teilnahme bzw. Durchführung von klinischen Studien. Es besteht eine hohe Übereinstimmung dieser Kriterien mit den internationalen EUSOMA-Kriterien, so dass der deutsche Qualitätsstandard dem europäischen bei weitem entspricht.

Handlungsgrundlage im DMP und den Brustkrebszentren sind Standards, Leitlinien oder Richtlinien für die einzelnen interdisziplinären Versorgungseinheiten bzw. -schritte. Nur Richtlinien einer höheren Qualitätsstufe, d. h., mindestens S2 oder S3, erfüllen den Anspruch der Interdisziplinarität und damit der vorauszusetzenden Qualität. Unklarheit besteht darüber, wie die Honorierung der Leistung im Rahmen des DMP bzw. in den DMP-definierten Kliniken erfolgt. Dieses vor dem Hintergrund, dass zeitgleich zu den DMPs die DRGs im Jahr 2003 eingeführt worden sind.

Im Leistungskatalog der DRGs sind u. a. die plastisch rekonstruktiven Eingriffe, die unabdingbar für die regelgerechte Versorgung einer Brustkrebspatientin sind, um deren körperliche Integrität wieder herzustellen, nicht suffizient abgebildet. Gleiches gilt für die medikamentöse und die kombinierte medikamentöse-strahlentherapeutische Therapie, was sich auch im neuen DRG-Katalog 2005 teilweise ändert.

Der zentrale Punkt zur Evaluierung der Qualität bzw. der Verbesserung der Qualität durch die neu implementierten Versorgungsstrukturen ist die Dokumentation und die Auswertung der Dokumentation in entsprechenden umfassenden Programmen. Problematisch hierbei ist, dass teilweise eine parallel laufende Dokumentation, z. B. in den klinischen, bzw. epidemiologischen Krebsregistern und im DMP erfolgt.

Das Gesundheitssystem steht vor einer deutlichen Wandlung mit Fokussierung spezifischer Krankheitsbilder auf zentralistische Strukturen. Ob sich die Qualität der Versorgung durch die neuen Strukturen verbessert, muss durch Ergebnisdokumentation und Qualitätsüberprüfung nachgewiesen werden. Dieses ist umso wichtiger, da mit der Europäisierung und damit Vereinheitlichung der Strukturen in den Gesundheitssystemen deutsche Versorgungsstrukturen konkurrenzfähig sein und ihren Standort im Europäischen System sichern müssen.

Literatur

  • 1 Beckmann M W. Von Standards, Leitlinien und Richtlinien und deren Einfluss auf das tägliche medizinische Handeln.  Frauenarzt. 2003;  44 950-954
  • 2 Brucker S, Krainick U, Bamberg M, Aydeniz B, Wagner U, Du Bois A, Claussen C, Kreienberg R, Wallwiener D. Brustzentren - Rationale, funktionelles Konzept, Definition und Zertifizierung.  Gynäkologe. 2003;  36 862-877
  • 3 Roeder N, Glocker S, Franz D, Ostermann H, Ganser A. G-DRG-Evaluationsprojekte erfolgreich gestartet.  Forum DKG. 2003;  5 13-14
  • 4 Neumann M, Tuschen G. Aktuelle Konzepte in der Versorgung von Brustkrebspatientinnen.  Frauenarzt. 2002;  43 663-665

Prof. Dr. med. Matthias W. Beckmann

Frauenklinik des Universitätsklinikums Erlangen

Universitätsstraße 21 - 23

91054 Erlangen

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