Aktuelle Neurologie 2004; 31(10): 475-476
DOI: 10.1055/s-2004-834540
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neues Arzneimittelgesetz

New Drug Law in GermanyH.-C.  Diener1
  • 1Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen
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Publication Date:
09 December 2004 (online)

Deutschland hatte bisher schon ein relativ kompliziertes Arzneimittelgesetz und bürokratische Regelungen zur Durchführung klinischer Studien. Ungeachtet dessen hat es die deutsche Neurologie geschafft, in vielen Indikationgebieten wie Schlaganfall, Parkinson, MS, Kopfschmerz, neuroimmunologischen Erkrankungen und degenerativen Erkrankungen nicht nur erfolgreich an klinischen Studien teilzunehmen, sondern solche auch mit oder ohne Unterstützung der Industrie zu initiieren. Auf diese Weise hat sich die deutsche Neurologie international einen Ruf erworben, den viele andere Fachdisziplinen innerhalb der Medizin nicht haben.

Die Europäische Union hat in den Jahren 2001 und 2002 Richtlinien verabschiedet, nach denen in Zukunft innerhalb der EU klinische Studien möglichst einheitlich durchgeführt werden sollten. Den einzelnen Mitgliedsländern wurde aber in der praktischen Umsetzung eine gewisse Freiheit gelassen, wie die Vorgaben in die Realität umzusetzen sind. Erwartungsgemäß hat sich Deutschland darin hervorgetan, diese Vorgabe so restriktiv und so bürokratisch wie möglich umzusetzen. Bundestag und Bundesrat haben abschließend am 30. Juli 2004 das 12. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes und am 9. August 2004 eine Verordnung über die Anwendung der guten klinischen Praxis (good clinical practice, GCP) bei der Durchführung von klinischen Studien mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen verabschiedet. In diesem Gesetz und den neuen GCP-Richtlinien finden sich eine ganze Reihe von sinnvollen Ansätzen, so dass beispielsweise die Art der Antragstellung durch den Sponsor vereinheitlicht wurde und dass klinische Studien prospektiv angemeldet werden müssen. Eine weitere sinnvolle Vorgabe ist, dass eine Studie nicht durchgeführt werden kann, wenn die Ethikkommission der Studie nicht zustimmt.

Das Arzneimittelgesetz und die GCP-Verordnungen haben aber auch zu einer massiven Zunahme des bürokratischen Papierkriegs geführt. Bisher war es üblich, dass eine multizentrische Studie der Ethikkommission am Ort des Leiter der klinischen Prüfung vorgelegt wurde. Das von dort erteilte positive Votum wurde dann den anderen zuständigen Ethikkommissionen zugestellt, die mit wenigen Ausnahmen (Ethikkommission der Ärztekammer Nordrhein, Ethikkommission der Ärztekammer Bremen und gelegentlich Ethikkommission der Ärztekammer Bayern) auf ein formales Verfahren verzichteten und das Votum der zentralen Ethikkommissionen akzeptierten. Dies führte zu einer Beschleunigung des Verfahrens und auch zu einer deutlichen Kostenersparnis und zu einer Arbeitserleichterung der einzelnen Ethikkommissionen. Nach dem neuen Arzneimittelgesetz muss der Sponsor der Studie jetzt alle Unterlagen in 10facher Ausfertigung zeitgleich allen Ethikkommissionen, in deren Einzugsbereich Prüfärzte tätig werden, zusenden. Für eine normale klinische Prüfung bedeutet dies bei Einbezug von bis zu 24 Ethikkommissionen 240 Leitzordner mit Papier. Die Ethikkommissionen müssen dann ein formales Verfahren durchführen, was bei industriegesponserten Studien zu einer Kostenbelastung zwischen minimal 500 und maximal 3000 Euro führt und dann innerhalb von 4 Wochen der zentralen zuständigen Ethikkommission ihr Votum mitteilen. Diese Ethikkommission hat dann die dankbare Aufgabe, aus bis zu 20 sich zum Teil widersprechenden Ethikvoten ein einheitliches Votum zu erstellen, das dann innerhalb der nächsten 4 Wochen gültig wird. Studien müssen in Zukunft nicht nur dem BfArM gemeldet werden, sondern auch von dort innerhalb von acht Wochen genehmigt werden. Protokollergänzungen, die das Studienprotokoll maßgeblich verändern (was durch Voten des Sicherheits- oder Steering-Komitees einer Studie durchaus vorkommen kann) müssen in Zukunft dem BfArM nicht nur gemeldet werden, sondern es muss von dort eine Genehmigung zur Protokolländerung eingeholt werden; dies ebenfalls in einer Frist von acht Wochen. Würde man den Gesetzestext auf den Buchstaben genau folgen, würde dies bedeuten, dass die Rekrutierung einer multizentrischen Studie so lange unterbrochen werden müsste, bis die Genehmigung des BfArM und der Ethik-Kommission vorliegen. Beide Institutionen nämlich Ethikkommission und BfArM haben bereits informell mitgeteilt, dass dies in der Praxis nicht umgesetzt wird, da es unethisch wäre, eine laufende Studie aus rein bürokratischen Gründen vorübergehend zu unterbrechen. Dazu kommt dass die Ethikkommissionen in Zukunft bestätigen müssen dass der lokale Prüfleiter die Studie durchführen kann. Bei Zwischenfällen würde dann die Ethikkommission auch haften. Dafür gibt es aber weder Versicherungen noch Rücklagen. Aus diesem Grund haben einige Ethikkommissionen vorübergehend ihre Tätigkeit bis zur Klärung dieser Sachfrage eingestellt.

Ein weiteres bürokratisches Hindernis ist die Tatsache, dass in Zukunft bei der Antragstellung bei der Ethikkommission der Vertrag aller teilnehmender Prüfer mit dem Sponsor vorgelegt werden muss. Angesichts des blühenden Föderalismus in Deutschland und der Tatsache, dass praktisch jedes Klinikum mit dem Sponsor einen unterschiedlichen Vertrag abschließen wird, zeigt, dass diese Vorgabe innerhalb von zwei Monaten in der Regel nicht zu erreichen ist. So wünschenswert eine Offenlegung der Vertragsverhältnisse zwischen Sponsor und Prüfarzt ist, so unsinnig ist es, dies mit dem Studienbeginn zu verknüpfen. Erschwerend kommt hinzu, dass weder bei den Ethikkommissionen noch in den Verwaltungen der Kliniken Personal vorhanden ist, was den zusätzlichen Arbeitsaufwand durch das neue Arzneimittelgesetz abdecken kann. Auch das BfArM wurde nicht ausreichend mit zusätzlichem Personal bestückt, so dass die dort tätigen Mitarbeiter eine immense zusätzliche Arbeitsbelastung auf sich nehmen müssen.

Das neue Arzneimittelgesetz und die neuen GCP-Richtlinien werden wahrscheinlich von großen Pharmafirmen und großen Auftragsunternehmen zur Abwicklung klinischer Studien bewältigt werden können. Das neue Gesetz ist aber weit gehend der Tod investigatorinitiierter Studien ohne Unterstützung aus der Industrie. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass bei Projekten, die uns vor kurzem vom BMBF bewilligt wurden, bis zu 80 % der Fördersumme für bürokratische Ausgaben für Genehmigungen, Versicherungen, Ethikvoten und administrative Kosten verbraucht werden und dann anschließend zur Durchführung der eigentlichen Studie praktisch keine Mittel mehr zur Verfügung stehen. Dieser Teil der Gesetzgebung ist absolut kontraproduktiv, da er verhindert, dass vernünftige kontrollierte Studien mit Medikamenten außerhalb des Patentschutzes und Studien an Patienten mit seltenen Krankheiten durchgeführt werden. Leider wurde bei der Anhörung der entsprechenden Bundestagsausschüsse vor Verabschiedung des Gesetzes kein Mediziner gehört, der in großem Umfang internationale Studien koordiniert und durchführt.

Ich kann nur an alle Universitätskliniken für Neurologie appellieren, trotz dieser bürokratischen Hindernisse die Kultur klinischer Studien in Deutschland aufrecht zu erhalten.

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Klinik für Neurologie · Universitätsklinikum Essen

Hufelandstraße 55

45147 Essen

Email: h.diener@uni-essen.de

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