Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2005; 37(3): 140-141
DOI: 10.1055/s-2005-862595
Praxis
Pro & Contra
Karl F. Haug Verlag, in: MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Stellenwert der Immundiagnostik in der Onkologie - Pro

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Publication Date:
04 October 2005 (online)

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Die Berechtigung immunologischer Diagnostik in der klinischen Onkologie ist bis heute umstritten. Was wird dabei unter „immunologischer Diagnostik” verstanden? Üblicherweise die Differenzierung der Lymphozyten im sog. „zelluläre Immunstatus” mit Hilfe der Durchflusszytometrie, wobei die verschiedenen Subpopulationen über Oberflächenmarker identifiziert werden und über einzelne Funktionsmarker näher charakterisiert werden können. Diese Form der Diagnostik ist zwar weithin zugänglich, in ihrer Aussagefähigkeit jedoch sehr beschränkt. Das Verteilungsmuster der Subpopulationen erlaubt keine zuverlässige Beurteilung des klinischen Zustandes bei Tumorpatienten. Funktionelle Defizite sind oft nicht erkennbar.

Wesentlich weiterführend ist die ex vivo Funktionsdiagnostik der Immunzellen, insbesondere der T-Lymphozyten und der natürlichen Killerzellen. Den NK-Zellen (NKZ) wird heute eine herausragende Rolle in der Tumorprävention zuerkannt. Als Immunpatrouille („Immunsurveillance”) können sie einzelne mutierte Zellen, deren Oberflächencharakteristik vom Muster normaler Körperzellen abweicht, identifizieren und apoptotisch eliminieren. Kommt es jedoch zur Etablierung einer Tumorerkrankung, fällt den T-Zellen die Hauptrolle in der lokalen Tumorabwehr zu. Nach spezifischer Sensibilisierung gegenüber Tumorzellantigenen, die von normalen Körperzellen nicht exprimiert werden (fetale Antigene) oder die nach Mutationen als Neoantigene in Tumorzellen auftreten, infiltrieren zytotoxische T-Zellen (CTL) das erkrankte Organ und attackieren die Tumorzellen. Hochmutierte Tumorzellen, die im Verlauf der Tumorerkrankung entstehen, können sich allerdings dem „Zugriff” der CTL entziehen, häufig z.B. durch Downregulation von HLA-Merkmalen, und nach Überwinden der T-zellulären Barriere disseminieren. Nur die in der Peripherie patrouillierenden NKZ können diese „maskierten” Zellen erkennen und attackieren. Die Leistungsfähigkeit der immunologischen Tumorabwehr hängt demnach von der zytotoxischen Kapazität der T-Zellen und NK-Zellen ab.

Ist die Zytotoxizität der T- und NK-Zellen variabel und was spricht für die klinische Relevanz der Funktionsanalyse? Die Funktionskapazität der zytotoxischen Abwehrzellen wird durch verschiedenste variable Faktoren geprägt. Hierzu zählen Hormone (Cortisol, HGH, Thyroxin, Sexualhormone, Katecholamine), Mineralstoffe (Zink, Selen), Vitamine (u.a. Vitamin D, Vitamin B6, Folat), Antioxidantien (u.a. Glutathion, Thiole, Vitamin E, C, alpha-Liponsäure, N-Acetylcystein, Isoflavone, Resveratrol, Curcumin), Aminosäuren (u.a. Arginin, Glycin), Ernährung (Kalorienrestriktion) und Sport. Sie beeinflussen die funktionelle Polarität der T-Zellen (TH1:TH2-Gleichgewicht) und modulieren die zytotoxische Aktivität der T- und NK-Zellen. Auch lokale Faktoren im Tumor-befallenen Gewebe sind zu berücksichtigen. Oxidative Metaboliten der Tumorzellen blockieren die zytotoxischen Zellen im Umfeld. Sauerstoffradikale hemmen die zelluläre Immunabwehr und provozieren entzündliche Reaktionen, die ihrerseits weitere Radikale generieren und das Redoxgleichgewicht der Zellen über den Abfall der zellulären Thiolkonzentration (Glutathion) stören. Dadurch wird das TH1:TH2-Funktionsgleichgewicht der T-Zellen beeinträchtigt und die Effektorfunktion gehemmt. Die Reifung des T-Zellrezeptors wird blockiert, insbesondere die Expression der für die Antigenerkennung, Signaltransduktion und Effektorfunktion wichtigen invariablen Zeta-Komponente (TCRξ) des T-Zellrezeptors gehemmt bzw. durch Downregulation reduziert [[1]]. Damit wird die Antitumor-Aktivität der T-Zellen gesenkt. Die Zetaexpression korreliert direkt mit der Prognose bei Tumorpatienten [[2]]. Neben oxidativen Metaboliten beeinflussen auch von Tumorzellen sezernierte Zytokine (TNF-alpha) die Zetaexpression und -funktion.

Umfangreiche Studien haben in den letzten Jahren gezeigt, dass die zytotoxische Aktivität der Immunzellen, insbesondere der NKZ, sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärprävention herausragende Bedeutung hat. Je höher die zytotoxische Aktivität der NK-Zellen im jüngeren Alter, desto niedriger das Tumorrisiko in späteren Jahren. Je höher die NK-Zellaktivität bei Tumorerkrankten, desto besser die klinische Prognose und desto länger die Überlebensdauer.

Können aus der Analyse der Zytotoxität der T- und NK-Zellen therapeutische Konsequenzen gezogen werden? Die o.g. variablen Faktoren können nach Identifizierung vielfach korrigiert werden. Mit einfachen Mitteln wie Antioxidantien kann z.B. das Redoxgleichgewicht der Zellen wieder stabilisiert werden. Auch verschiedene Medikamente, deren immunologische „Nebenwirkungen” erkannt wurden, sind zu nennen: Cimetidin verbessert die TH1-Effektorfunktionen; Thalidomid steigert die IL2-Produktion und verbessert die NK-Zellzytotoxizität, Verapamil wirkt sowohl auf die T-Zell- als auch auf die Tumorzellfunktion durch Modulation der Multi-Drug-Resistenzmoleküle, COX2-Inhibitoren wie Celecoxib verstärken Apoptosesignale in Tumorzellen.

Viele der beschriebenen Beobachtungen sind jedoch bis heute nicht in größeren klinischen Studien validiert worden. Erstaunlicherweise galt das Interesse der klinischen Onkologie bisher nahezu ausschließlich der Behandlung des Tumors durch Operation, Chemo- und Radiotherapie. Die Einbeziehung der körpereigenen Immunabwehr wurde vernachlässigt. Dies ist umso erstaunlicher, als Radio- und Chemotherapie die Zellen des Immunsystems massiv schädigen und damit die Chancen des Patienten, den Tumor zu bekämpfen, zumindest vorübergehend zusätzlich minimieren. Erst kürzlich wurde die Überlegung geäußert, dass man auch die Immunzellen des Patienten berücksichtigen und in die Tumorabwehr miteinbeziehen sollte: „Using a person's own immune response to fight cancer is a very interesting approach”, SM Lee, 2004 (Europäischer Onkologenkongress). Leider wurde auch seitens der Pharmahersteller die Prüfung und Entwicklung spezifischer Immuntherapeutika lange Zeit vernachlässigt, sodass finanzielle Unterstützung für größere Studien fehlte.

Das diagnostische Instrumentarium der klinischen Immunologie ist in den letzten Jahren weiter verbessert worden. Auch im immunologischen Routinelabor ist es heute möglich, die verschiedenen Populationen zytotoxischer Zellen zu charakterisieren, ihre Funktionskapazität zu messen und die verschiedenen Mechanismen der Zytotoxizität einzeln zu analysieren und die Wirksamkeit therapeutischer Maßnahmen sehr gezielt zu prüfen. Damit sollte die Immundiagnostik für die klinische Onkologie ein zunehmend wertvolles und wichtiges Instrument werden.

Literatur

  • 01 Baniyash M. TCR zeta-chain downregulation: curtailing an axcessive inflammatory immune resonse.  Nat Rev Immunol. 2004;  4 675-87
  • 02 Whiteside T L. Down-regulation of zeta-chain expression in T cells: a biomarker of prognosis in cancer?.  Cancer Immunol Immunother. 2004;  53 865-78

Korrespondenzadresse

Priv. Doz. Dr. med. Wilfried P. Bieger

Labor ANTOX GmbH & Co. KG

Goethestr. 4

80336 München

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