PiD - Psychotherapie im Dialog 2005; 6(3): 333
DOI: 10.1055/s-2005-866985
DialogBooks
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Buchbesprechung

Anna  Auckenthaler
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Publication History

Publication Date:
08 September 2005 (online)

Rössler, Wulf: Psychologen in der psychiatrischen Klinik.
Bonn: Psychiatrie-Verlag, 2004

Welche Psychologin, welcher Psychologe würde das vorliegende Buch nicht gern lesen wollen? - Der Klappentext deutet an, dass der Autor Verständnis für das Leiden der Psychologen an den Arbeitsbedingungen in der Psychiatrie hat, und diese Erwartung wird im Vorwort verstärkt: „Dieses Buch”, so heißt es hier, „soll es Ihnen erleichtern, zu verstehen, wie eine Klinik funktioniert, was in einer Klinik von Belang ist und wie der Berufsalltag aussieht” (S. 8).

Ebenfalls noch im Vorwort wird deutlich, dass dem Autor ein anderes Ziel eher noch wichtiger ist: „Mein vorrangiger Wunsch ist es, Ihnen eine bestimmte Haltung gegenüber psychisch kranken Menschen zu vermitteln. Ich hoffe, dass Sie vielleicht auch etwas von der Freude spüren, mit der ich selbst meinen Beruf ausübe” (S. 10). Welche Erfahrungen mit Psychologen, so fragte ich mich, hatten den Autor dazu veranlasst, gerade hier seinen Schwerpunkt zu setzen? - Von da an interessierte mich am vorliegendem Buch vor allem das Bild, das Psychiater von Psychologen haben, und ihre Beziehung zu den Psychologen: Was trauen sie ihnen zu, was nicht? Was wünschen sie sich von den Psychologen? Was stört sie an ihnen?

Gleich zu Beginn des Buches erfährt man, dass Ärzte das Wissen um die Kompetenzvorsprünge der Psychologen in Psychotherapie und Diagnostik „nicht unbedingt mit Hochachtung” erfüllt, sondern dass sie den Psychologen stattdessen sogar „eher etwas mitleidig entgegentreten” (weil sie „noch nie einen richtigen Patienten gesehen haben”) und dass sie ihnen „eine allenfalls die ärztliche Tätigkeit ergänzende Funktion” zugestehen (S. 11). Etwas anderes - dass Psychologen etwa auch „eine geschätzte Berufsgruppe im multiprofessionellen Team mit eigenen Kompetenzen” sein könnten (S. 12) - scheint der Ausnahmefall zu sein. Kein Wunder also, wenn Psychologen immer wieder darüber klagen, dass sie sich im Kontakt mit den Ärzten chancenlos fühlen und dass das Psychologiestudium ihnen nicht das Selbstbewusstsein vermittle, das sie für die Zusammenarbeit mit Ärzten so dringend bräuchten.

Der gute Wille des Autors, den Psychologen die Hand zu reichen und ihre Kompetenzen anzuerkennen, ist unverkennbar. Er gesteht ihnen „einen wichtigen Platz” in der psychotherapeutischen Behandlung psychosekranker Menschen zu (S. 106f.), sieht sie als die Experten für „die differenzierte Testdiagnostik” (S. 99) und als „wichtige und unverzichtbare Partner in der psychiatrischen Forschung” (S. 134). Das wirkt freilich eher großmütig als wirklich überzeugt.

Man könnte sich dazu verleiten lassen, defensiv auf das Buch zu reagieren: das Bild des Autors von den Psychologen korrigieren, ihm vorwerfen, dass er die ungleichen finanziellen Bedingungen von Psychologen und Psychiatern ausklammert, und dass er möglicherweise unerfahrene Psychologen an erfahrenen Psychiatern misst. Sinnvoller scheint es mir aber, das Buch als Einstieg in einen längst überfälligen offenen Austausch zwischen Psychologen und Psychiatern zu nutzen. Der Autor hat einen ersten Schritt dazu getan, indem er (wenigstens indirekt) aufgezeigt hat, wie bedrohlich und einschüchternd auch Psychologen für Psychiater sein können. So etwas müssten Psychologen wissen, und schon deshalb sollten sie das Buch lesen. Vielleicht gelingt es den beiden Berufsgruppen ja dann, wenn sie besser über die wechselseitigen Fremd- und Selbstbilder Bescheid wissen, auch besser, die Arbeit in der Psychiatrie als gemeinsames Projekt zu sehen.

Korrespondenzadresse:

Prof. Dr. Anna Auckenthaler

FU Berlin
FB Erziehungswissenschaft und Psychologie
AB Klinische Psychologie und Psychotherapie

Habelschwerdter Allee 45

14195 Berlin

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