Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(12): 583-853
DOI: 10.1055/s-2006-960760
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Reanimation: Wie Richtig ist Richtig?

Peter Knuth
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Publication Date:
03 January 2007 (online)

Für die notfallmedizinische Fachwelt ein wenig überraschend wurden Ende November 2005 vom European Resuscitation Council und der American Heart Association neue Leitlinien zur kardiopulmonalen Reanimation herausgegeben. Diese Leitlinien beruhen auf internationalen Bewertungen wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Reanimatologie und den Ergebnissen vielfältiger Konsensprozesse. Die Veränderungen in den Reanimationsabläufen sind nicht marginal, sondern sehr grundsätzlicher Art.

Daher war es verdienstvoll, dass die Bundesärztekammer unter der Federführung von B. Dirks und P. Sefrin Empfehlungen zur Handhabung der Leitlinien des European Resuscitation Council im Deutschen Ärzteblatt Jg. 103, Heft 34-35 vom 28. August 2006 publiziert hat. In den einleitenden Anmerkungen zu den Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Handhabung der Leitlinien des European Resuscitation Council kommt sehr deutlich ein Schwachpunkt der neuen Reanimationsverfahren zum Ausdruck. Dirks und Sefrin stellen im Namen der Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer und deutschen Mitgliedern des European Resuscitation Council fest, dass es in Deutschland in den letzten Jahren trotz Intensivierung der Aus- und Fortbildung von Ersthelfern und medizinischem Fachpersonal nicht gelungen ist, die Überlebensrate bei plötzlichem Kreislaufstillstand wesentlich anzuheben. Als Grund hierfür wird unter anderem die fehlende Bereitschaft von Notfallzeugen zum Beginn einer Reanimation angeführt, ein Phänomen, das seit Jahrzehnten zu beobachten ist. Es gibt in Deutschland - und dies in deutlichem Gegensatz zu den USA - keine Kultur des Helfens in medizinischen Notfallsituationen und schon gar nicht bei einer Reanimation. Wer schon einmal das Verhalten der Bevölkerung bei einem Kreislaufstillstand in den USA und in Deutschland beobachten konnte, kennt die Unterschiede. In den USA ist Helfen so etwas wie eine patriotische Pflicht, in Deutschland überwiegt das Wegsehen und das Weggehen.

Vor diesem Hintergrund erscheint eine zentrale Neuerung in der Wiederbelebung kritisch. Der Laienhelfer beginnt eine Wiederbelebung nicht mehr wie gewohnt mit einer Beatmungssequenz, sondern mit 30 Kompressionen des Brustkorbes. Diese Änderung wird damit begründet, dass bei einem Kreislaufstillstand noch eine gewisse Sauerstoffreserve im arteriellen Gefäßschenkel vorhanden ist, die bei einer sofortigen Herzmassage zur Versorgung des Gehirns nutzbar ist.

Sieht man in die Literatur, stellt man fest, dass nur 50 ml O2 im Blut frei gelöst sind und damit der O2-Bedarf selbst in Ruhe nur für etwa zehn Sekunden gedeckt werden kann, wenn nicht ständiger O2-Nachschub durch Atmung und Kreislauf geliefert wird. Daher tritt bei Kreislaufstillstand auch spätestens nach 15 Sekunden Bewusstlosigkeit ein. Danach ist das Erfolgsorgan der Wiederbelebung, das Gehirn, auf seine im Hirngewebe gebundenen O2-Vorräte angewiesen, die aber gering sind, sodass nach etwa acht Minuten der irreparable Hirnschaden eingetreten ist, sofern nicht Atmung und Kreislauf suffizient wiederhergestellt sind.

Man gewinnt den Eindruck, dass die Einleitung der Reanimation mit der 30-maligen Herzmassage und den damit verbundenen physiologischen beziehungsweise pathophysiologischen Vorstellungen allzu stark durch amerikanische Verhältnisse geprägt ist, die für Deutschland nicht zutreffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass in den USA eine Reanimation innerhalb der Zeit begonnen wird, in der noch verwertbare O2-Reserven im Blut vorhanden sind, ist ungleich höher als in Deutschland. Dies ermöglicht die andere Kultur des Helfens in den USA, aber auch die wesentlich größere Dichte des professionellen Helfens mit First-Respondern der Feuerwehr und vielem anderen mehr.

In Deutschland hingegen erfolgt die Einleitung der Reanimation in der Regel durch den Rettungsdienst. Dann sind aber die nutzbaren Zeiten der Sauerstoffreserven für den Beginn der Reanimation mit der Herzdruckmassage längst verstrichen.

Was für die USA richtig ist, kann für Deutschland falsch sein. Die zuständigen Gremien sollten sich noch einmal mit diesem Problem auseinandersetzen. Der Wunsch nach Vereinheitlichung der Regeln für die Reanimation darf nicht so weit gehen, dass Falsches als Richtig übernommen wird.

Prof. Dr. med. Peter Knuth

Wiesbaden

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