Der Nuklearmediziner 2008; 31(4): 277-278
DOI: 10.1055/s-2008-1077029
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart ˙ New York

Lunge – das vergessene Organ?

Lung – The Forgotten Organ?C. Schümichen1
  • 1Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin, Zentrum Radiologie, Universitätsklinikum Rostock
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. Dezember 2008 (online)

Krankheitsbilder bleiben (meist) bestehen, nur die Namensgebung und die Definitionen ändern sich. Untersuchungsmethoden dagegen kommen und gehen, einige Methoden kehren sogar wieder zurück. So erfuhr die Lymphangiografie, zunächst wegen zu geringer Spezifität der Befunde weitgehend aufgegeben, jetzt unter dem Mantel von MRT und unter der Flagge „molekulare Bildgebung” eine Renaissance. Mit ultrakleinen paramagnetischen Eisenoxidpartikeln wird der metastatische Befall von Lymphknoten mit hoher Sensitivität und Spezifität nachgewiesen. In Kombination mit der F-18-FDG-PET / CT soll sie sogar die Sentinel-Lymphnode-Szintigrafie ersetzen können, letztere wiederum ein Beispiel für die geglückte Wiederkehr einer nuklearmedizinischen Methode. Andere nuklearmedizinische Verfahren wurden vorschnell aufgegeben. So wurde die herkömmliche Leber- und Milzszintigrafie zwar zurecht von der Sonografie und Computertomografie verdrängt, in der Differenzialdiagnostik Hämangiom, FNH, Adenom und HCC ist die auch moderne Radiologie trotz ihrer Möglichkeiten keineswegs so sicher, wie sie vorgibt. In Verbindung mit SPECT kann die Nuklearmedizin auch hier Gutes tun, doch das ist fast in Vergessenheit geraten.

Die nuklearmedizinische Lungenemboliediagnostik hat in den USA und den meisten europäischen Ländern ihren Zenit längst überschritten. Die Ursache hierfür hat einen Namen: PIOPED (Prospective Investigation of Pulmonary Embolism), eine Studie, die 1990 autorenlos in einer renommierten Zeitschrift publiziert wurde. Bei diesem direkten Vergleich der Ventilations- / Perfusionsszintigrafie mit der Pulmonalisangiografie wurde so ziemlich alles verkehrt gemacht, was man verkehrt machen konnte. Das ist längst bekannt, doch zugeben möchte dies keiner, zumindest nicht in den USA, denn dort und z. B. auch in Großbritannien wird bis heute gemäß PIOPED-Kriterien befundet.

Gerade weil das Ergebnis von PIOPED so abstrus ist, ist es in den Köpfen hängen geblieben:

Die V / Q-Szintigrafie soll im Endergebnis zwar hochsensitiv, aber kaum spezifisch sein, ein Ratespiel, wie es die radiologischen Kollegen heute nennen. Die Radiologie hat erfolgreich die Mehrzeilen-Spiral-CT ins Rennen gebracht; sie geht auf diesem Weg mit der Wahrheit nicht zimperlich um, und sie hat das mittlerweile brennende Thema Strahlenexposition bis heute klein halten können, letzteres eine Meisterleistung. Wenn die nuklearmedizinische Lungenemboliediagnostik noch eine Chance haben soll, dann gilt es jetzt energisch gegenzusteuern. Um mit der Mehrzeilenspiral-CT mithalten zu können, müssen neue Untersuchungstechniken (SPECT) her. Die Aufklärungsarbeit muss innerhalb und außerhalb der Fachgremien verstärkt werden, denn PIOPED ist aus den Köpfen nur schwer wieder zu entfernen und wird auch gern als willkommenes Gegenargument aufgeführt, schließlich sind die Ergebnisse der Mehrzeilen-Spiral-CT bisher nicht überzeugend. Über eines sollte sich die Nuklearmedizin aber im Klaren sein: Wenn die Indikationen für die Mehrzeilen-Spiral-CT aus Strahlenschutzgründen eingeschränkt werden sollten, dann könnte die V / Q-Szintigrafie in einem ähnlichen Verfahren durch MRT substituiert werden. Ausschlaggebend ist dann, ob polarisierbares Gas für die Ventilations-MRT preiswert zur Verfügung gestellt werden kann. Da dies noch nicht gesichert ist, heißt es für die Nuklearmedizin, Positionen zu wahren, eine Wiedergeburt der nuklearmedizinischen Lungenemboliediagnostik ist möglich.

Was hat die Nuklearmedizin außerhalb der Lungenemboliediagnostik noch zu bieten?

Am Thema mukoziliäre Clearance wird im Rahmen der immer noch aktuellen Feinstaubdiskussion in den spezifisch hierfür ausgerichteten Forschungsinstitutionen intensiv gearbeitet. Dort werden mittlerweile ausschließlich langlebige Radioisotope zur Erfassung auch langsamer Klärraten eingesetzt, sodass diese Untersuchungsmethoden nicht Eingang in die nuklearmedizinische Routine finden können. Als klinische Indikation für die mukoziliäre Clearance ist vorläufig nur die differenzialdiagnostische Abklärung von chronischem Husten geblieben

Das muss in Zukunft nicht so bleiben. Die Radiologie hat sich trotz aller Rückschläge weiterhin der Früherkennung des Bronchialkarzinoms mittels Low-dose-CT verschrieben. Gefährdet sind bekanntermaßen Raucher mit stark eingeschränkter bzw. aufgehobener mukozilärer Clearance. Hier ergeben sich Möglichkeiten für Screening-Untersuchungen, die derzeit aufgrund ungelöster technischer Schwierigkeiten noch nicht verwirklicht werden konnten.

Auch die resorptive Clearance als Maß für die Integrität der Alveolarmembran ist eine in der Wissenschaft noch weit verbreitete Untersuchungsmethode, wie aktuelle, zahlreiche Publikationen belegen. Ein wesentlicher Motor hierfür ist neben der Grundlagenforschung die Applikation von Medikamenten durch Inhalation. In der klinischen Routine ist dagegen die resorptive Clearance kaum noch vertreten. Ursache hierfür ist einmal die erschwerte Auswertung – die Aktivitätsclearence aus der Lunge folgt nicht einer einfachen Exponentialfunktion – sowie die beschleunigte Clearance bei aktiven Rauchern und sogar bei Passivrauchern, die eine quantitative Bewertung als Voraussetzung für den klinischen Nutzen erschweren.

In diesem Themenheft wird ein Organ behandelt, das zu Unrecht aus unserem Blickfeld zu schwinden droht. Die Entwicklungspotenziale sind noch längst nicht ausgereizt, und ungerechtfertigte Angriffe müssen abgewehrt werden. Es verhält sich wie im wirklichen Leben: Totgesagte leben länger, aber nur dann, wenn wir unseren Beitrag dazu leisten.

Prof. Dr. C. Schümichen

Universität Rostock · Klinik und Poliklinik für Nuklearmedizin

Gertrudenplatz 1

18057 Rostock

Telefon: +49 / 3 81 / 4 94 91 01

Fax: +49 / 3 81 / 4 94 91 02

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