Marsha Johnson war die erste, die die Empfindlichkeit gegenüber bestimmten Geräuschen
in Online-Selbsthilfegruppen für Patienten mit Hyperakusis diskutierte und Ende der
neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ca. 500 Fälle mit verminderter Geräuschsensitivität
dokumentiert hat. Sie bezeichnete das Phänomen als „Selective Sound Sensitivity Syndrome“
(selektives Geräuschempfindlichkeitssyndrom gegenüber jeder Art von Schall) – ein
Begriff, der bis heute verwendet wird. Hiervon abzugrenzen ist der später geprägte
Terminus „Misophonie“, der deutlich eine Hypersensitivität gegenüber Geräuschpegeln
übersteigt und auf die amerikanischen Neurowissenschaftler Pawel J. und Magret M.
Jastreboff [1, 2] zurückgeht. Er beschreibt eine Intoleranz gegenüber unschädlichen
Geräuschen wie etwa Kauen von Möhren, Äpfeln, Chips; Schmatz- oder Schlürfgeräusche;
Zerplatzen von Kaugummiblasen an den Lippen; Räuspern; Schniefen; Schnarchen; mit
Fingern auf einer Oberfläche trommeln; Fingerknacken; Papier rascheln; Kugelschreiber
Klicken; Trittgeräusche von Schuhen; Quietschen von Kreide beim Schreiben an der Wandtafel;
Reibegeräusche auf Stoff (Tischdecke glatt Streichen) o. ä., die von anderen verursacht
werden. Solche Geräusche lösen bei manchen Personen unangemessene, aversive Reaktionen
aus (Wut, Ekel, Hass, Aggression) und können bei ihnen zu Abgelenktheit, Irritation,
Konzentrations-, Denk- und Lernproblemen führen. Der Störungsbeginn liegt meistens
bereits in Kindheit und Adoleszenz. Im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer
Störungen (DSM-V) der APA und in der ICD-10 der WHO ist „Misophonie“ nicht verschlüsselt,
da ihr pathologischer Status bislang unklar ist (physiologische Reaktion? Symptom?
eigenständige [neurologische, psychische] Störung?).