Zusammenfassung
Das Erleben von Schmerz ist nach heutigem Verständnis durch eine Vielzahl
biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren geprägt und somit
eine komplexe, von der Nozizeption abzugrenzende, psychologische Erfahrung.
Entsprechend ist das Schmerzerleben durch psychologische Faktoren modulierbar
und chronische Schmerzen werden als biopsychosoziale Erkrankungen verstanden.
Dies gilt auch für den Viszeralschmerz, dem spezifische
psychophysiologische Prinzipien und neurobiologische Mechanismen zugrunde
liegen, was eine interdisziplinäre Betrachtung unter Einbeziehung der
Psychologie und der Neurowissenschaften erforderlich macht. Ausgehend von den
bidirektionalen Verbindungen zwischen Darm und Hirn und aufbauend auf einem
biopsychosozialen Krankheitsmodell beschreibt dieser Übersichtsbeitrag
psychologische Mechanismen, die bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und
Therapie viszeraler Schmerzen wichtig sind. Dabei liegt der Fokus auf positiven
und negativen Erwartungseffekten im psychosozialen Behandlungskontext.
Therapieerwartungen können Krankheitssymptome sowohl positiv als auch
negativ beeinflussen. Diese gemeinhin als Placebo- und Noceboeffekte bekannten
Phänomene, die durch die Arzt-Patient Kommunikation, Lernprozesse,
Stress und Furcht vermittelt werden, sind auch für den Viszeralschmerz
bei gastrointestinalen Erkrankungen zunehmend anerkannt und Gegenstand aktueller
grundlagenwissenschaftlicher und klinischer Forschungsaktivitäten. Neue
interdisziplinäre und translationale Forschungsansätze aus der
Forschung zu Placebo- und Noceboeffekten liefern spannende Einblicke in die
zahlreichen Verbindungen und Wechselbeziehungen zwischen Darm und Gehirn bei
normalen wie auch pathologischen Darm-Hirn Interaktionen und können dazu
beitragen, die Pathophysiologie von Erkrankungen, die mit viszeralen Schmerzen
einhergehen, besser zu verstehen und wichtige Erkenntnisse für neue
Therapieansätze zu gewinnen.
Abstract
The experience of pain is shaped by a multitude of biological, psychological and
social factors and is thus a complex psychological experience to be
distinguished from nociception. Accordingly, the experience of pain can be
modulated by psychological factors, and chronic pain conditions constitute
biopsychosocial disorders. This is also true for visceral pain, which involves
specific psychophysiological principles and neurobiological mechanisms, calling
for an interdisciplinary approach at the interface of gastroenterology,
psychology, pain research and the neurosciences. Based on the bidirectional
connections between the gut and the brain and building on a biopsychosocial
model, this review article describes psychological mechanisms that are important
in the development, maintenance, and treatment of visceral pain. The focus is on
positive and negative expectancy effects within the psychosocial treatment
context. Treatment expectations can influence symptoms of the gut-brain axis,
especially visceral pain, both positively and negatively. These phenomena,
commonly known as placebo and nocebo effects, are mediated by doctor-patient
communication, learning processes, stress, and fear. New interdisciplinary and
translational research approaches from research on placebo and nocebo effects
provide exciting insights into normal and pathological gut-brain interactions
and may improve our knowledge about the etiology and pathophysiology of visceral
hyperalgesia and interoceptive hypervigilance and provide important insights
into new therapeutic approaches.
Schlüsselwörter
Placebo - Nocebo - Erwartungen - Viszeraler Schmerz - Darm-Hirn Achse
Key words
Placebo - Nocebo - Expectations - Visceral Pain - Gut-Brain Axis