Zusammenfassung
Hintergrund: Die Interdisziplinäre S3-Leitlinie zur „Definition, Pathophysiologie, Diagnostik
und Therapie des Fibromyalgiesyndroms, (FMS)” wurde unter Beteiligung von Vertretern
der DEGAM, von 10 medizinischen bzw. psychologischen Fachgesellschaften und zwei Patientenselbsthilfeorganisationen
erstellt. Eine zusammenfassende Darstellung und Bewertung der primärversorgungsrelevanten
Leitlinienempfehlungen sowie eine Kommentierung des Leitlinienprozesses und dessen
Ergebnis aus hausärztlicher Sicht standen bisher aus. Die Leitlinie Fibromyalgie hatte
mehr als andere Leitlinien die zentralen Probleme: uneinheitlich definiertes Krankheitsbild,
Fehlen objektiver Messgrößen zur Diagnosestellung, Fehlen oder unverbindbare unterschiedliche
Ätiologie-Konzepte der Beteiligten in der Leitliniengruppe sowie wenig bis fehlende
Studien mit methodisch verlässlicher Methodik.
Methoden: Es wird Einblick in den Prozess der Leitlinienentwicklung zum Fibromyalgie-Syndrom
gegeben. Analysiert wird die von der Steuerungsgruppe der Leitlinie vereinbarte Methodik
im Vorgehen bei der Leitlinienentwicklung (Strukturqualität). Es wird ferner der konsensuelle
Gruppenprozess in der Bearbeitung und Gewichtung der vorhanden Literatur hinsichtlich
der Erarbeitung der Empfehlungen analysiert (Prozessqualität). Ebenfalls werden wichtige
Teile der Leitlinienempfehlungen dargestellt und analysiert (Ergebnisqualität). An
diesem Material werden fünf wichtige Aspekte herausgearbeitet, die auch in anderen
interdisziplinären Leitliniengruppen von Bedeutung sein dürften, auch wenn in dem
hier analysierten Leitlinienprozess das Thema sowie die Literaturlage zum Thema eine
besondere Bedeutung hatte.
Ergebnisse: Zusammensetzung der interdisziplinären Leitliniengruppe und gesetzte Rahmenbedingungen
haben einen sehr starken Einfluss auf das Ergebnis, das sich in den Empfehlungen niederschlägt,
genommen. Die Tatsache, dass es nur wenig evidenzbasiertes Wissen auf Studienbasis
zum Thema gibt, bedeutete einen enormen Einfluss auf das Konsensusverfahrens. Strittige,
aber möglicherweise für die Praxis nutzbare unterschiedliche Ätiologie-Konzepte wurden
nicht dargelegt, wodurch die vordergründige Gemeinsamkeit einer phänomenologischen
Diagnosebildung dominiert.
Diskussion: Eine Leitlinie, die sich einem Krankheitsbild (FMS) widmet, für das es keine einheitliche
und verbindliche Definition gibt, objektive Diagnosekriterien nicht vorliegen und
es keine oder unterschiedliche und unverbindbare ätiologische Vorstellungen nur gibt,
muss einen hohen Grad von Unpraktikabilität im Alltag der Versorgung behalten. Auch
dürfte bei einer breiten Implementierung der Leitlinie es zu einer Ausweitung der
als krank definierten Bevölkerung führen (Disease – Mongering) – zumal Public Health
und sozialmedizinischer Dienst in der Gruppe nicht vertreten waren.
Abstract
Background: The interdisciplinary guideline Definition, pathophysiology, diagnostic and therapy
of the Fibromyalgia-Syndrome (FMS) was produced with inclusion of the German Society
for General Practice and Family Medicine (DEGAM), 10 medical and psychological societies
and two patient self-help organizations. A summarized presentation and evaluation
of the primary-care relevant guideline recommendations is missing so far. The guideline
on fibromyalgia had more than other guidelines as central problems: not uniformly
defined disease definition, absence of objective findings for diagnosis, absent or
controversially seen aetiological concepts, lack of studies with methodically reliable
methodology.
Methods: The article delivers insight into the process of the guideline-development to the
Fibromyalgia-Syndrome. The methodology arranged by the steering-committee of the guideline
is analyzed in the procedure of the guideline-development (structure-quality). Furthermore
the consented group process regarding the formulation of the recommendation to the
topic is analyzed. Also important parts of the guideline-recommendation are presented
and analyzed (result-quality). Five important aspects are extracted from this material,
which should be also important in other interdisciplinary guideline groups, even if
in this analyzed guideline process the topic as well as the literature about this
theme had a special relevance.
Results: Personal formation of the interdisciplinary guideline-group and sedate master conditions
were supposed to have taken a very strong influence on the result, that is reflected
in the recommendation of the guideline. The fact that it gives only a few evidence
based knowledge about the topic on controlled-studies makes the influence of the consented
group process high. Contoversial, but possibly for the practice usable different aetiology-concepts
were excluded and immolated for the mutuality of phenomenological diagnostics.
Discussion: A guideline, that focuses on a syndrome (FMS), that lacks of a uniformly and binding
definition, for which objective diagnosis-criterions are not available and where none
or different and controversial aetiological ideas only are given, must keep a high
degree for non- practicability in the everyday practice in primary care. A wide implementation
of the guideline should lead to an expansion of this as ill defined population (Disease-Mongering),
especially since Public Health and social-medical service were not represented in
the guideline-group.
Schlüsselwörter
Fibromyalgie-Syndrom - Chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen - Leitlinie
- Allgemeinmedizin
Key words
Fibromyalgia-Syndrome - chronic widespread pain - guideline - primary care