Gesundheitswesen 2008; 70 - A181
DOI: 10.1055/s-0028-1086406

Palliativmedizin im Alter – Verständnis, Potenziale und Barrieren aus der Perspektive unterschiedlicher Fachdisziplinen und Professionen

M Schumacher 1, T Brückner 1, U Walter 2, N Schneider 1
  • 1Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover
  • 2Stiftungslehrstuhl Prävention und Rehabilitation in der System- und Versorgungsforschung, Institut Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Medizinische Hochschule Hannover

Hintergrund: Bislang fokussiert die Palliativmedizin in Deutschland vornehmlich auf onkologische Patienten. Ansätze der Palliativmedizin können jedoch auch geeignet sein, die Versorgung von Patienten mit nicht-onkologischen Erkrankungen zu verbessern. Eine wichtige Zielgruppe bilden hochaltrige, multimorbide Patienten mit ihrem komplexen medizinischen, pflegerischen und psychosozialen Versorgungsbedarf. Die vorliegende Studie hat zum Ziel, die Sichtweisen von Ärzten und Pflegekräften zu explorieren, v.a. hinsichtlich des Verständnisses von Palliativmedizin bei geriatrischen Patienten, der Einschätzung der Potenziale und Grenzen sowie Wahrnehmung von system- und berufsgruppenbedingten Barrieren bei der Umsetzung geriatrisch orientierter Palliativmedizin. Methoden: Qualitatives Design mit Durchführung von 5 Fokusgruppen, je eine mit Hausärzten, Geriatern, Palliativmedizinern sowie Pflegekräften mit bzw. ohne Zusatzausbildung in Palliative Care (insgesamt n=29 Teilnehmer). Verwendung eines Leitfadens entlang der o.g. Fragen. Aufzeichnung, Transkription, Kodierung und inhaltsanalytische Auswertung des Materials. Ergebnisse:Über alle Gruppen hinweg wird ein wesentlicher fördernder Faktor für die Umsetzung geriatrischer Palliativmedizin in der zuletzt gestärkten – wenn auch noch suboptimalen – Stellung der Hospiz- und Palliativversorgung in der Sozialgesetzgebung gesehen. Als zentrale Barrieren werden Kommunikationsprobleme sowohl zwischen Ärzten und Pflegekräften als auch zwischen Hausärzten und Fachärzten unterschiedlicher Disziplinen sowie unzureichender Vergütung der zeitintensiven Betreuung von Palliativpatienten in allen Versorgungsbereichen bemängelt. Kontroverse Sichtweisen zeigten sich in Bezug auf die Rolle von Hausarztmedizin und spezialisierter Versorgung: Hausärzte sehen geriatrische Palliativmedizin als originären Bestandteil ihrer Profession an, Geriater und Palliativmediziner hingegen eher als Domäne ihrer Spezialgebiete. Während Hausärzte und Geriater die Zusammenarbeit mit Pflegediensten überwiegend als sehr gut betrachten, wünschen sich die Pflegekräfte eine stärkere Anerkennung ihrer Leistungen durch die Ärzte. Diskussion/Schlussfolgerungen: Kommunikationsprobleme zwischen Gesundheitsprofessionen und Fachdisziplinen sowie unzureichende Vergütung werden von Ärzten und Pflegekräften als Hauptprobleme bei der Umsetzung geriatrischer Palliativmedizin wahrgenommen. Die Implementierung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung mit der Gesundheitsreform 2007 setzt hier an. Allerdings sind erhebliche Abgrenzungsprobleme neuer (spezialisierter) Versorgungsformen von bestehenden Leistungsangeboten zu erwarten.