Gesundheitswesen 2010; 72(11): 763-770
DOI: 10.1055/s-0029-1242793
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Hilfekonferenzen, das neue Verfahren zur Eingliederungshilfe psychisch Kranker nach dem SGB XII – eine Zweijahresuntersuchung

“Help Conference”, A New Social Assistance for Integration According to § 53 SGB XII – A Two-Year AnalysisS. Lampen-Imkamp1 , U. Blanke1 , W. Dillo1
  • 1Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Hochschule Hannover
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Publication Date:
28 December 2009 (online)

Zusammenfassung

Einleitung: Seit der Einführung des Hilfekonferenzverfahrens für Leistungen der Eingliederungshilfe (§53 ff. SGB XII) ist in der Region Hannover die Zahl der Anträge in 5 Jahren um ca. 1 100% gestiegen. Untersucht wurde, welches Klientel die Leistung in Anspruch nimmt, wer die jeweilige Leistung beantragt, ob die Forderung nach einer personenzentrierten ambulanten Hilfe erfüllt wird und welche Konsequenzen das neue Verfahren für Klient und Behandler zur Folge hat.

Methode: Es wurden Hilfekonferenzprotokolle aus den Jahren 2005 und 2006 untersucht. Die soziodemografischen, sowie die krankheits- und behandlungsbezogenen Merkmale und der ärztliche Bericht zur Verfahrenseinleitung wurden erfasst und retrospektiv analysiert. Insgesamt waren von 202 Verfahren zur Eingliederungshilfe 78 Dokumentationsbögen vollständig ausgefüllt und konnten in die Untersuchung eingeschlossen werden.

Ergebnisse: In der Diagnoseverteilung bilden Patienten mit Diagnosen nach ICD 10 F2 die größte Gruppe (47,4%, n=37) der Betroffenen. Die größte Einzelgruppe (39,7%, n=31) stellten Männer mit Suchterkrankungen (ICD 10 F01) dar. Im Gegensatz zu Frauen (6,1%, n=5) spielen bei einem Drittel der betroffenen Männer Suchterkrankungen eine Rolle. Nur in Einzelfällen stellten die Klienten selbst einen Antrag auf Eingliederungshilfe. Einundvierzig Prozent (n=32) der Anträge waren Erstanträge auf Maßnahmen der Eingliederungshilfe, die bei 3/4 (n=24) der Klienten durch Kliniken angeregt wurden. Bei 59% (n=46) der Patienten wurden Folgeanträge gestellt, wovon durch 2/3 (n=31) dieser Anträge durch die Leistungserbringer gestellt wurden.

Schlussfolgerung: Die Vorgaben der Rechtsempfehlung zum Verfahren konnten erfüllt werden. Eine personenzentrierte, individuelle Hilfe wurde erreicht. Das Hilfeplanverfahren führt durch klare zeitliche Vorgaben zu einer deutlichen Verbesserung der Planbarkeit in der Nachbetreuung psychisch Erkrankter.

Abstract

Objective: To deal with applications for social assistance for integration according to § 53 SGB XII, in the district of Hannover a so called “Help Conference” was introduced. Since implementation of “Help Conferences”, the number of applications has increased by about 1 100% over the past five years. We analysed whether a change from the institutional help system to more individual “help” has already been realised.

Methods: “Help Conferences“ recorded between 2005 and 2006 were evaluated in regard to demographic and medical data. 78 of 202 protocols (40%) had been filled in completely and thus could be included in our evaluation.

Results: 37 patients (47%) had F2 spectrum diagnoses according to ICD-10. More than one third of our patients (31 patients=40%) were male patients with a diagnosis of addiction, whereas in this study female patients were rarely affected by addiction (5 patients=6%). The first application was filed by the hospital social service in most cases. Applications submitted by the patients themselves were an exception. 46 applications (59%) were follow-ups, submitted by the institution responsible for the patient.

Conclusions: The new system is focused on the individual interests of patients and implicates an improved and more predictable aftercare in patients with psychiatric diseases.

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Korrespondenzadresse

Dr. med. S. Lampen-Imkamp

Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie

Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie

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Hannover OE 7110

Carl-Neuberg-Straße 1

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Email: Lampen.stefanie@mh-hannover.de

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