Rehabilitation (Stuttg) 2010; 49(2): 125-126
DOI: 10.1055/s-0029-1246149
Bericht

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Symposium „Neue Ansätze in der Psychosomatischen Rehabilitation” des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen am 4.12.2009 in Bremen

Symposium on “New Approaches in Psychosomatic Rehabilitation” of the Lower Saxony/Bremen Rehabilitation Research Network, Dec. 4, 2009 in BremenF. Petermann1
  • 1Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen
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Publication Date:
05 May 2010 (online)

Am 4. Dezember 2009 fand ein von knapp 100 Teilnehmern besuchtes Symposium zum Thema Neue Ansätze in der psychosomatischen Rehabilitation in Bremen statt. Neben dem Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbund Niedersachsen/Bremen (geschäftsführender Sprecher: Prof. Dr. F. Petermann) war die Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen Mitveranstalter. Nach einem Grußwort von Priv.- Doz. Dr. Aike Hessel (Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen) und einer Einführung von Prof. Dr. Franz Petermann wurde in acht Plenarvorträgen die Thematik repräsentativ zur Diskussion gestellt.

Vor dem Hintergrund, dass psychische Erkrankungen in der Bevölkerung kontinuierlich zunehmen und im Jahr 2020 psychische Störungen die zweithäufigste Ursache für Arbeitsausfälle sein werden, sind nachhaltige Strategien zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit und des Arbeitsplatzes dringend erforderlich [1]. Jedoch wird immer noch ein zu geringer Erwerbsbezug in der medizinischen Rehabilitation bei gleichzeitiger Verbesserung der psychischen und somatischen Funktionsfähigkeit beklagt. Dr. Axel Kobelt (Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover) stellte in seinem Beitrag „Erwerbsbezug in der psychosomatischen Rehabilitation” zur Diskussion, ob problematische Patientencluster von der psychosomatischen Rehabilitation profitieren können und ob sich „sozialmedizinisch problematische” Patienten (etwa mit langer Arbeitsunfähigkeitsdauer) dazu motivieren lassen, ihre Erwerbstätigkeit wieder aufzunehmen bzw. ins Erwerbsleben zurückzukehren. Die in Zusammenarbeit mit der Klinik Am Hasenbach (Clausthal-Zellerfeld) erhobenen Daten von 199 Patienten zeigten, dass eine Verbesserung der psychischen und somatischen Funktionsfähigkeit nicht zu einer verbesserten Arbeitsmotivation führt. Darüber hinaus profitieren sozialmedizinisch problematische Patienten besser als erwartet von einer psychosomatischen Rehabilitation, haben jedoch bei Entlassung einen hohen Beschwerdedruck. Unklar bleibt, welche nachhaltigen Effekte berufsbezogene Behandlungsprogramme besitzen. Dem bleibenden Schnittstellenproblem soll in Zukunft ein individuelles Fallmanagement der Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover entgegengesetzt werden.

Vor dem Hintergrund eines steigenden Anteils von Rehabilitanden mit Migrationshintergrund widmete sich Dr. Wolfgang Pfeiffer (Klinik Am Hasenbach, Clausthal-Zellerfeld) in seinem Beitrag der psychosomatischen Rehabilitation von Migranten. Anhand von Daten einer Stichprobe von 625 Patienten der Klinik Am Hasenbach sollte der Frage nachgegangen werden, ob und in welcher Weise der Migrationshintergrund einen Rehabilitationserfolg beeinträchtigt im Hinblick auf soziodemografische und erwerbsbezogene Merkmale sowie Hemm- und Förderfaktoren. Es zeigten sich deutliche Unterschiede in den Hemm- (Bildungsstand, erwerbsbezogene Attribute, Rentenbezug) und Förderfaktoren (soziale Unterstöützung) zwischen Patienten mit und ohne Migrationshintergrund. Die Ergebnisse unterstreichen die besonderen Bedürfnisse dieser Rehabilitanden, etwa im Hinblick auf den Ausbau von genderspezifischen Angeboten, spezifischen psychoedukativen Maßnahmen oder die verstärkte Nutzung sozialer Ressourcen.

Dina Barghaan (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) referierte über die Entwicklung von Therapiestandards in der Rehabilitation von Patienten mit Depression. Es handelt sich dabei um ein von der Deutschen Rentenversicherung Bund gefördertes Projekt. Seit 1998 wird die Entwicklung von Reha-Therapiestandards in der medizinischen Rehabilitation massiv gefördert. Es liegen Standards für verschiedene Indikationsbereiche bereits in der Routine bzw. in Pilotphasen vor (z. B. koronare Herzerkrankung, Diabetes mellitus Typ 2, chronische Rückenschmerzen, Brustkrebs, Alkoholabhängigkeit). Die hier dargestellte Entwicklung der Reha-Therapiestandards Depression folgte einem von der Deutschen Rentenversicherung entwickelten vierstufigen Vorgehen (Literaturanalyse und Formulierung von evidenzbasierten Therapiemodulen [ETM], Analyse des aktuellen Versorgungsgeschehens bezogen auf die ETM anhand von Daten der Klassifikation therapeutischer Leistungen [KTL-Analyse], Ausgestaltung einer Pilotversion der Reha-Therapiestandards unter Einbezug von relevanten Berufsgruppen, medizinischen Fachgesellschaften und Patienten [Expertenkonsensus] sowie Implementierung der Leitlinie im Rahmen einer Pilotphase mit Evaluation der Akzeptanz).

Prof. Dr. Claus Bischoff (AHG Klinik für Psychosomatik, Bad Dürkheim) griff in seinem Beitrag „Selbstfürsorglich im Alltag: Akzeptanz einer durch elektronisches Coaching unterstützten Kurzintervention für stationär psychosomatische Reha-Patienten mit hoher Verausgabungsbereitschaft” ein neues Medium in der Nachsorge nach stationärer psychosomatischer Rehabilitation auf. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Wirksamkeit von Handheld-gestütztem Selbstmanagement (E-Coaching) in der Rehabilitations-Nachsorge” der Deutschen Rentenversicherung wurde die Praktikabilität, Akzeptanz und Effektivität eines Handheld-Computers analysiert, der den Patienten in seinem Alltag mehrmals am Tag auffordert, sein Befinden zu überprüfen und gegebenenfalls sein Verhalten zu verändern, um sein Befinden zu verbessern. Grundlegende Wirkmechanismen dieses Gerätes sind Selbstberuhigung und Handlungsjustierung, wobei das Angebot keine Ersetzung der herkömmlichen Reha-Nachsorge darstellt, sondern bei den Patienten eingesetzt werden kann, die aus persönlichen oder organisatorischen Gründen nicht an einem herkömmlichen Nachsorgeprogramm teilnehmen können. In einer exemplarischen Stichprobe von Patienten mit Neigung zu übermäßiger arbeitsbezogener Verausgabungsbereitschaft (nach AVEM) zeigte, sich eine hohe Akzeptanz und ein zuverlässiger Umgang mit dem Gerät.

Über ein Projekt zur internetgestützten Nachsorge nach psychosomatischer Rehabilitation berichtete im Anschluss Herr Golkaramnay aus der Klinik Alpenblick in Isny. Das Projekt beinhaltet therapeutisch begleitete Internet-Chatgruppen, in denen sich die Patienten in halboffenen Gruppen zu festgelegten Terminen unter Moderation des (ihnen persönlich bekannten) Therapeuten austauschen. Neben der Möglichkeit eines kontinuierlichen Online-Ergebnismonitorings, das in herkömmlichen Gesprächsgruppen so nicht realisierbar ist, bieten Chatgruppen weitere Vorteile, jedoch auch Grenzen, wie Golkaramnay eindrucksvoll darstellen konnte. Die Akzeptanz dieses Mediums konnte in der vorliegenden Studie als hoch bezeichnet werden (z. B. geringe Abbrecherquote), gleichfalls zeigten sich auch gegenüber einer unbehandelten Kontrollgruppe signifikante Verbesserungen in den Bereichen psychische Beeinträchtigung und Depressivität.

Neben der Nachsorge nach psychosomatischer Rehabilitation steht aktuell zur Diskussion, ob und welche Art von Vorbereitungsmaßnahmen sinnvoll sind, um dem Patienten den Zugang zur stationären psychosomatischen Rehabilitation zu erleichtern und die Effekte der Maßnahme sowohl zu verbessern als auch zu verstetigen [2]. Meike Lange (Universität Bremen) stellte hierzu in ihrem Beitrag „Patientenorientierte Vorbereitung auf die psychosomatische Rehabilitation” eine spezielle Vorbereitungsmaßnahme der Deutschen Rentenversicherung Oldenburg-Bremen vor, in der Rehabilitanden eine individualisierte Einzelberatung im Vorfeld ihres stationären Aufenthaltes erhielten. Im Vergleich zur unvorbereiteten Kontrollgruppe zeigten diese Patienten zu Beginn der Maßnahme signifikant höhere Ausprägungen in den Bereichen Wissen, Motivation und Vertrauen. Die Intervention (Einzelberatung) wird zurzeit manualisiert und nochmals evaluiert.

Einen weiteren innovativen Ansatz auf dem Weg zur optimierten psychosomatischen Rehabilitation stellten Prof. Manfred Zielke (Universität Mannheim) und Matthias Gasche (AHG Gesundheitszentrum Düsseldorf) dar. In ihrem Vortrag „Ganztägig ambulante Rehabilitation im Fachbereich Psychosomatik” referierten die Autoren über die Struktur und den Ablauf einer im Medizinischen Zentrum für die ambulante Rehabilitation von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen in Düsseldorf angebotenen Maßnahme. Anhand der Daten von 183 Patienten wurden sowohl deskriptive Analysen (Erkrankungsspektrum, Altersverteilung, Behandlungsdauer) als auch Daten zur Veränderungsbeurteilung der Behandler referiert. Hierbei zeigte sich, dass die ganztägig ambulante Rehabilitation einen vielversprechenden Ansatz zur Verfahrensoptimierung darstellt.

Abschließend wandte sich Dr. Bernhard Krohn-Grimberghe (Rheumaklinik Bad Wildungen) mit seinem Beitrag dem Thema „Das Fibromyalgiesyndrom in der medizinischen Rehabilitation” zu. Neben grundsätzlichen Informationen zum Krankheitsbild Fibromyalgiesyndrom (FMS) und dem aktuellen Stand der Leitlinienentwicklung berichtete der Referent über ein aktuelles Projekt der Rheumaklinik Bad Wildungen in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen. Hierbei handelt es sich um eine kontrollierte Studie zur Effektivität einer im Rahmen der stationären Rehabilitation durchgeführten Fibromyalgie-Patientenschulung (vgl. auch [3] [4]). Im Vergleich zur unbehandelten ambulanten Kontrollgruppe konnte in der Interventionsgruppe die durchschnittliche Schmerzstärke, Angst und Depression der Patienten langfristig signifikant verringert werden.

Insgesamt konnte die Veranstaltung ein breites Spektrum an neuen Ansätzen für die psychosomatische Rehabilitation bearbeiten. Die aktive Beteiligung der Teilnehmer und die rege Diskussion zeigen, dass die eingeschlagenen Wege zur Optimierung der psychosomatischen Rehabilitation weiterverfolgt werden müssen. Einige Inhalte des Symposiums wurden bereits im Schwerpunktheft „Psychosomatische Rehabilitation”, Heft 5 (2009) dieser Zeitschrift publiziert.

Literatur

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Franz Petermann

Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation

Universität Bremen

Grazer Straße 6

28359 Bremen

Email: fpeterm@uni-bremen.de

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