Gesundheitswesen 2010; 72 - V82
DOI: 10.1055/s-0030-1266256

Wirkung von evidenzbasierten Gesundheitsinformationen auf potenzielle Nutzer. Eine empirische Untersuchung

I Hirschberg 1, G Seidel 2, D Strech 1, M Dierks 2
  • 1Medizinische Hochschule Hannover; Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin, Hannover
  • 2Medizinische Hochschule Hannover; Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover

Hintergrund: Zu den Qualitätskriterien für evidenzbasierte Patienteninformation (EBPI) gehören auch die Einbeziehung der Nutzer, ihrer Erfahrungen und Bedürfnisse in den Erstellungs- und Bewertungsprozess. Relevant, aber bislang wenig untersucht sind die bei Nutzern durch EBPI hervorgerufenen Wirkungen und Reaktionsmuster. Material und Methoden: Grundlage der Untersuchung ist eine externe Evaluation von Informationsprodukten/-entwürfen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) durch ausgewählte Patienten und Bürger, durchgeführt von der Patientenuniversität der MHH im Auftrag des IQWiG. Pro Informationstext werden Einzelbewertungen sowie das Meinungsbild aus Gruppendiskussionen (à 5 Testleser) unter Berücksichtigung folgender Aspekte erfasst: Erster Eindruck zum Text nach individueller Lektüre, Informationsgehalt, Darstellung, Verständlichkeit, Struktur und (antizipierte) Wirkungen. Dies wird in mehrseitigen Protokollen unter Dokumentation von Originalaussagen zusammengefasst. Die folgenden Ergebnisse beruhen auf einer qualitativen Themenanalyse der Diskussionsprotokolle zu 25 unterschiedlichen Informationsprodukten sowie der Quantifizierung der Äußerungen zum ersten Eindruck von 94 Testlesern. Ergebnisse: Es wurde induktiv ein Kategorienraster zu Reaktionsmustern der Nutzer entwickelt, bestehend aus acht Hauptkategorien: Interesse, Aktivierung, Zufriedenheit, Beruhigung und Vertrauen, Desinteresse, Zweifel, Unzufriedenheit, Beunruhigung und Sorge. Im ersten Eindruck der 25 Texte entfielen von den 362 kodierten Äußerungen 37,0% auf die Kategorie Unzufriedenheit, gefolgt von Zweifel (19,9%), Zufriedenheit (18,2%), Beruhigung und Vertrauen (7,5%), Aktivierung (6,4%), Beunruhigung und Sorge (6,1%), Interesse (3,6%) und Desinteresse (1,4%). Die Rezeption von EBPI erwies sich als ungewohnt für die Testleser. Hinweise auf einen geringen Evidenzgrad bestimmter Daten und Zurückhaltung bei Empfehlungen führten einerseits z.T. zu einer kritischen Beurteilung der Texte; andererseits erhöhte dies z.T. auch das Vertrauen in die Qualität der Informationen. Schlussfolgerungen: Das Kategorienraster ist hilfreich, um die Wirkung von Gesundheitsinformationen zu erfassen. Die Konfrontation mit der wissenschaftlichen Beweislage und ihrer Darstellung nach EBPI-Vorgaben führt zu durchaus nicht immer erwünschten Reaktionsmustern bei den Lesern. Deshalb müssen Konzepte entwickelt werden, wie der Umgang mit wissenschaftlicher Evidenz und darauf basierenden Empfehlungen so kommuniziert werden kann, dass Nutzer die Relevanz einer solchen Betrachtungsweise verstehen können.