Gesundheitswesen 2010; 72 - WS57
DOI: 10.1055/s-0030-1266444

Philip Morris erfolgreicher Versuch mithilfe deutscher Toxikologen die Forschung zur krebserregenden Wirkung des Passivrauchens zu beeinflussen

T Kyriss 1
  • 1Klinik Schillerhöhe, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie, Gerlingen

Einleitung: Eine kanzerogene Wirkung des Passivrauchens gilt als wissenschaftlich erwiesen. Nicht nur epidemiologische Daten weisen darauf hin, sondern auch die biomedizinische Forschung über sog. tabakspezifische Nitrosamine belegen den Zusammenhang. Eine vergleichende Betrachtung der entsprechenden Fachliteratur fördert jedoch auch Belege für eine ernstzunehmende Gegenposition zutage. Unter den Protagonisten dieser Auffassung finden sich renommierte Toxikologen, die medizinischen Hochschulen in Deutschland angehören. Methode: Anhand interner Dokumente der Tabakindustrie, die infolge US – amerikanischer Gerichtsprozesse im Internet zugänglich sind, wurde untersucht wie der Zigarettenhersteller Philip Morris plante wissenschaftliche Publikationen über die kanzerogene Wirkung des Passivrauchens zu neutralisieren und wie diese Pläne von deutschen Toxikologen umgesetzt wurden. Ergebnisse: Den internen Dokumenten der Tabakindustrie zufolge plante und finanzierte Philip Morris auf dem kleinen aber für die Tabakindustrie sensitiven Forschungsgebiet der tabakspezifischen Nitrosamine gemeinsam mit deutschen Toxikologen diverse Studien und Publikationen. Ansätze, Studienaufbau und veröffentlichte Ergebnisse dieser Arbeiten sind geeignet früher veröffentlichte Erkenntnisse über die krebserregende Wirkung des Passivrauchens zu relativieren. Aktuell existiert in Deutschland ein Netzwerk renommierter Toxikologen mit langjährigen Beziehungen zur Tabakindustrie. Darunter befinden sich die Präsidentin einer wissenschaftlichen Fachgesellschaft, die auch Regierungsberaterin in Umweltfragen ist, ein Gutachter vor dem Deutschen Verfassungsgericht und der Herausgeber einer maßgeblichen wissenschaftlichen Fachzeitschrift. Schlussfolgerungen: Die vor einem Jahrzehnt aufgrund interner Dokumente der Tabakindustrie aufgedeckte illegitime Einflussnahme in den Wissenschaftsbetrieb deutscher medizinischer Hochschulen hat wenig bewirkt. Derzeit sind in Deutschland die Expertenmeinung und der Inhalt von Publikationen zu tabakassoziierten Gesundheitsgefahren unter starkem Einfluss der Tabakindustrie. Dies hat Auswirkungen auf die öffentliche Diskussion um die Gesetzgebung zum Nichtraucherschutz, möglicherweise über Deutschlands Grenzen hinaus.