Gesundheitswesen 2010; 72 - P196
DOI: 10.1055/s-0030-1266703

Die Entwicklung der Suizidraten in Sachsen-Anhalt im Stadt-Umland-Vergleich und das ambulante Versorgungsangebot

A Genz 1, H Dobrowolny 1, B Bogerts 1
  • 1Klinik für Psychiatrie der Universität, Magdeburg

Einleitung: Die Suizide gehen in Sachsen-Anhalt nach der offiziellen Statistik auf Landesebene dramatisch zurück. Kleinräumigere Untersuchungen liegen bislang für das Bundesland nicht vor, insbesondere keine Gegenüberstellungen des städtischen und Umlandgeschehens und keine Beziehungsetzung zum ambulanten psychiatrischen Versorgungsangebot. Methodik: Das Statistische Landesamt stellte auf gezielte Abforderung Suiziddaten für die drei Mittelstädte des Landes zusammengefasst und für Mehrjahresperioden über den Zeitraum von 1990 bis 2006 zur Verfügung. Über Differenzbildung konnte das Suizidgeschehen dieser Mittelstädte dem im kleinstädtisch-ländlichen Bereich gegenüber gestellt und Korrelationen mit den ambulanten Versorgungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigung für alle „Psycho“-Fächer berechnet werden. Ergebnisse: In 16 Beobachtungsjehren nahmen sich in den 3 kreisfreien Städtten 1595 Menschen, davon 1125Männer und 470 Frauen, das Leben, im Umland 6620 Menschen, davon 4894Männer und 1726 Frauen mit parallel stark abnehmender Tendenz in beiden regionalen Zuordnungen. Von Beginn an lagen überraschend die Suizidraten im städtischen Bereich unter denen des Umlandes, insbesondere im höheren Altersbereich. Es existierte eine extreme Ungleichverteilung von „Psycho“-Behandlungsressourcen bereits zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung mit städtischer Schwerpunktbildung der Versorgung, die weiter zugenommen hat und mit dem Rückgang der Suizidraten korreliert. Diskussion und Schlussfolgerung: Wider Erwarten – und der mehrheitlich veröffentlichten Literatur – fand sich keine höhere, sondern eine geringere Suizidrealisation im großstädtischen Bereich. Dieses Ergebnis ist über die Zeiträume und die Altersverteilung weitgehend konstant. Die ambulanten therapeutischen Angebote sind mittelstädtisch so gravierend besser und korrelieren signifikant negativ mit der Verteilung der Suizide, dass ein kausaler Einfluss denkbar erscheint. Gesicherte Daten zum Inanspruchnahmeverhalten suizidaler Menschen oder dem unmittelbar suizidvorlaufendem Konsultationsverhalten von Suizidenten – aus psychologischen Autopsiestudien – liegen für Sachsen-Anhalt allerdings nicht vor, so dass kausale Interpretationen nur vorbehaltlich möglich sind.