Gesundheitswesen 2011; 73 - A72
DOI: 10.1055/s-0031-1283404

Hat eine Schwangerenvorsorge ‘unterhalb der Standardfrequenz’ Einfluss auf das Frühgeburtsrisiko von Migrantinnen? Sekundäranalyse der Niedersächsischen Perinatalerhebungen 2001–2008

C Berger 1, B Schücking 2, P Wenzlaff 3, B Borrmann 1
  • 1Universität Osnabrück, Osnabrück
  • 2Universität Leipzig, Leipzig
  • 3Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen, Einrichtung der Ärztekammer Niedersachsen, Hannover

Einleitung/Hintergrund: Ziel der Schwangerschaftsvorsorge ist es, Schwangerschaftsrisiken, zu denen auch soziale und psychische Faktoren zu zählen sind, frühzeitig zu erkennen und zu therapieren. Bei einer regelmäßigen Schwangerschaftsvorsorge und einer termingerechten Geburt liegt die Anzahl der Vorsorgeuntersuchungen bei 10 bis 12, je nach Schwangerschaftswoche der Erstuntersuchung. Der Anteil von Frauen mit Migrationshintergrund und eigener Migrationserfahrung zwischen 15 und 45 Jahren lag 2005 in Niedersachsen bei 15,96%. In Niedersachsen lag der Anteil von Geburten von Müttern, die ein anderes Herkunftsland als Deutschland hatten, bei 16,8%. Im Zeitraum 2001–2008 lag die durchschnittliche Frühgeburtenrate in Niedersachsen bei 8,1%. Migrant/-innen haben oftmals einen niedrigeren sozioökonomischen Status und sind physisch sowie psychisch durch die Migration belastet. Dies und eine mangelnde Sprachkompetenz kann unter Umständen bei der Schwangerenvorsorge eine adäquate Beratung und Therapie erschweren. Bisherige Studien haben keinen eindeutigen Zusammenhang aufgezeigt, dass eine geringere Anzahl an Schwangerenvorsorgeuntersuchungen bei Low-Risk-Schwangerschaften, Einfluss auf das Frühgeburtsrisiko hat. Daten und Methoden: Die Niedersächsischen Perinatalerhebungen (2001–2008) dienen als empirische Grundlage. Lebendgeburten mit einem Gestationsalter von <37+0 SSW wurden in Bezug auf das Herkunftsland der Schwangeren analysiert. Der Fokus liegt auf Frauen aus Osteuropa und dem Mittleren Osten/Nordafrika. Deskriptive Berechnungen und multivariate Analysen wurden durchgeführt. Ergebnisse: Die Analyse der Schwangerschaftsvorsorgeintensität (N:403468) ‘unter Standard', je nach Schwangerschaftsdauer und Schwangerschaftswoche der Erstuntersuchung, nach Herkunftsland ergab folgende Ergebnisse für Frühgeburten: Deutschland 18,5%, Osteuropa 22,1%, Mittlerer Osten/Nordafrika 24,5% (p<0,001). Das Frühgeburtsrisiko betrug nach Herkunftsland der Mutter und Kontrollvariablen Zigarettenkonsum, <18 Jahre, >35 Jahre, Berufstätigkeit während Schwangerschaft, Parität, Geburtsrisiko Gestose/Eklampsie, allein stehend und Schwangerschaftsvorsorge ‘unter Standard' für Osteuropa AOR=0,871 (95% CI, 0,818–0,926) (p<0,001) und den Mittleren Osten/Nordafrika AOR=0,921 (95% CI, 0,867–0,979) (p<0,05). Die Referenzgruppe waren deutsche Schwangere. Diskussion/Schlussfolgerung: Auch bei deutlicher Unter-Standard-Versorgung ist das Frühgeburtsrisiko von Schwangeren aus Osteuropa und dem Mittleren Osten/Nordafrika geringer als bei deutschen Schwangeren. Andere Faktoren müssen bedeutsamer für Frühgeburtlichkeit sein.

Literatur:

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