Gesundheitswesen 2011; 73 - A91
DOI: 10.1055/s-0031-1283504

Pathologisches Glücksspielverhalten und Migration

N Kastirke 1, C Goeze 1, U John 1, A Kreuzer 2, C Meyer 1, H-J Rumpf 2
  • 1Universität Greifswald, Greifswald
  • 2Universität Lübeck, Lübeck

Hintergrund: Über die Verbreitung von Glücksspielproblemen in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist bisher wenig bekannt. Eine umfassende Studie zum Glücksspielverhalten in der deutschen Allgemeinbevölkerung ermöglicht, diese Subpopulation genauer zu betrachten und zu analysieren, wie stark sie sich in ihrem Glücksspielverhalten unterscheidet, ob mögliche Unterschiede auf soziodemografische oder sozioökonomische Merkmale zurückzuführen sind und welche Aspekte des Sammelbegriffs „Migrationshintergrund„ sich bei einer differenzierten Betrachtung als wesentlich herausstellen. Methode: Analyse von Befragungsdaten einer epidemiologischen Studie zum Glücksspielverhalten in Deutschland (PAGE) mittels logistischer Regression. Befragt wurden 15.023 Personen zwischen 14–64 Jahren, darunter 3.235 Menschen mit Migrationshintergrund. Die Klassifikation von Glücksspielproblemen basiert auf den 10 diagnostischen Kriterien des DSM-IV, kategorisiert in „Risikoreich„ (1–2 Kriterien), „Problematisch„ (3–4 Kriterien) und „Pathologisch„ (5–10 Kriterien). Die Klassifikation des Migrationsstatus basiert auf Informationen über das Geburtsland (≠ Deutschland) der Befragten, ihrer Mütter und Väter. Ergebnisse: In der deutschen Allgemeinbevölkerung haben Menschen mit Migrationshintergrund eine signifikant (p<0,001) höhere Lebenszeitprävalenz für risikoreiches (6,8%), problematisches (2,4%) und pathologisches (1,8%) Glücksspielverhalten im Vergleich zu Menschen ohne Migrationshintergrund (5,0%, 1,1%, 0,7%). Auch bei Kontrolle der mit dem Glücksspielverhalten assoziierten Merkmale Geschlecht, Alter, Schulbildung und Erwerbslosigkeit haben Menschen mit Migrationshintergrund verglichen mit der übrigen Bevölkerung eine 2,3fach erhöhte Chance für das Vorliegen der Lebenszeitdiagnose Pathologisches Glücksspielverhalten (95%-KI: 1,4–3,8; p<0,01). Eine Subgruppenanalyse der Menschen mit Migrationshintergrund zeigt, dass diejenigen mit einer migrationserfahrenen Mutter verglichen mit denen ohne migrationserfahrene Mutter eine 5,9fach erhöhte Chance für die Lebenszeitdiagnose Pathologisches Glücksspielverhalten haben (95%-KI: 1,5–23,3; p<0,05). Die eigene Migrationserfahrung (OR=0,7; 95%-KI: 0,3–1,9; p=0,52) und die des Vaters (OR=1,4; 95%-KI: 0,3–8,0; p=0,67) spielen hierbei eine zu vernachlässigende Rolle. Schlussfolgerungen: Bei Menschen mit Migrationshintergrund gibt es einen erhöhten Risikofaktor für Glücksspielprobleme. Dieser Faktor kann nicht durch glücksspielassoziierte soziodemografische oder sozioökonomische Merkmale erklärt werden. Erste Analysen verweisen auf die Rolle der Mütter als „Gatekeeper„ der Familiengesundheit, die es näher zu untersuchen gilt.