Gesundheitswesen 2011; 73 - A54
DOI: 10.1055/s-0031-1283553

Wann werden wir die Auswirkungen der HPV-Impfung in Deutschland sehen können? Ergebnisse eines dynamischen Transmissionsmodells

R Mikolajczyk 1, O Damm 2, J Horn 1, M Kretzschmar 3, Y Delere 4, AM Kaufmann 5, A Krämer 2, W Greiner 2
  • 1Universität Bremen, Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin, Bremen
  • 2Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld, Bielefeld
  • 3Julius Centre for Health Sciences and Primary Care, University Medical Centre Utrecht, Utrecht
  • 4RKI, Berlin
  • 5Gynaecologic Cancer Immunology, Charite Campus Benjamin Franklin, Berlin

Die Einführung der HPV-Impfung in Deutschland wurde sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Fachkreisen kontrovers diskutiert. Mithilfe eines mathematischen Modells, das im Rahmen eines vom Robert Koch-Institut finanzierten Projektes entwickelt wurde, stellen wir dar, wann die Effekte der Impfung auf die Krebsinzidenz und -mortalität sichtbar werden. Methoden: In Anlehnung an vorhandene internationale und nationale Ansätze entwickelten wir ein mathematisches Modell für die HPV-Infektion und den natürlichen Krankheitsverlauf bis zum Auftreten von invasivem Gebärmutterhalskrebs. Dem dynamischen Modell liegt eine für Alter und sexuelle Aktivität spezifische Mixing-Matrix zugrunde, die die Verbreitung der Infektion in der Bevölkerung bestimmt. Modelliert werden dabei explizit vier HPV-Typen bzw. Gruppen (HPV 16, HPV 18, andere Hochrisikotypen, Niedrigrisikotypen), jährliche Altersgruppen, die Präkanzerosen CIN 1–3, Carcinoma in situ und Krebs in den Stadien FIGO I-IV. Das Modell inkorporiert bis einschließlich 2010 publizierte Studienergebnisse und wurde für Deutschland anhand der HPV-Prävalenz, Krebsinzidenz und -mortalität kalibriert. Ergebnisse: Laut Modellvorhersagen werden sich die Auswirkungen einer HPV-Impfung bei 12-jährigen Mädchen auf die Krebsinzidenz frühestens im Jahr 2030 andeuten. Ein Plateau wird ab 2060 erreicht, obwohl vor allem bei einem lang anhaltenden Impfschutz weitere geringfügige Reduktionen bei der Krebsinzidenz und etwas stärkere bei der Krebsmortalität bis 2110 zu erwarten sind. Die indirekten Effekte (Herdenimmunität) folgen mit einer kurzen Verzögerung den direkten Auswirkungen der Impfung und betreffen in erster Linie dieselbe oder benachbarte Altersgruppen. In den höheren Altersgruppen bestehen zunächst nur Herdeneffekte und diese setzen auch erst nach ca. 30 Jahren ein. Deutlich früher werden die Auswirkungen auf die Präkanzerosen bemerkbar sein, die sich in Form von geringeren Behandlungsraten schon in 10 bis 20 Jahren niederschlagen. Schlussfolgerungen: Aufgrund der zeitlich versetzten Auswirkungen der HPV-Impfung besteht zunächst eine 20-jährige Lücke in der Prävention von Gebärmutterhalskrebs. Die Investition in die zunächst noch entfernt erscheinende Zukunft verlangt nach verbesserten präventiven Ansätzen in der Gegenwart als flankierende Maßnahmen.