Gesundheitswesen 2011; 73 - A230
DOI: 10.1055/s-0031-1283556

Determinanten der Gesundheit und ihre relative Bedeutung für die Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten: Ein systematisches Review

I Moor 1, S Ackermann 2, M Richter 3
  • 1Universität Bielefeld, Bielefeld
  • 2Abteilung für Gesundheitsforschung, Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Bern
  • 3Institut für Medizinische Soziologie, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg

Die Analyse gesundheitlicher Ungleichheiten fokussiert zunehmend die Erklärung des sozialen Gradienten in der Gesundheit. Materielle, psychosoziale und verhaltensbezogene Faktoren stehen dabei im Mittelpunkt und wurden bislang auf häufigsten empirisch untersucht. Ziel des systematischen Reviews ist es, eine Bestandsaufnahme empirischer Studien vorzunehmen, die eine Quantifizierung der relativen Erklärungsanteile unterschiedlicher Faktorengruppen untersuchten, diese kritisch zu analysieren und zu bewerten. Methoden: Die computergestützte Literaturrecherche erfolge in den internationalen englischsprachigen medizinischen und sozialwissenschaftlichen Datenbanken ‘Pubmed’, ‘Web of Science’ und ‘PsycINFO’ (Zeitraum 1996–2010). Die Recherche und Bewertung der Studien wurde von zwei unabhängigen Begutachtern durchgeführt, bei Uneinigkeit wurde ein 3. Gutachter hinzugezogen. Insgesamt wurden 3.984 relevante Treffer erzielt, wobei 25 dieser Veröffentlichungen die Ein- und Ausschlusskriterien erfüllten. Ergebnisse: Bis auf eine Studie beziehen sich die identifizierten Studien auf die erwachsene Bevölkerung. Die meisten Studien (7 von 25) stammen aus den Niederlanden, gefolgt von Finnland (5). Die relative Bedeutung unterschiedlicher Faktorengruppen für die Erklärung gesundheitlicher Ungleichheiten wurde am häufigsten für die subjektive Gesundheit (8) und die Mortalität (8) analysiert, geschlechtsspezifische Aussagen liegen für Männer (13) und Frauen (6) vor. In der separaten Betrachtung haben materielle, psychosoziale und verhaltensbezogene Faktoren tendenziell einen vergleichbar hohen Erklärungsbeitrag. Bei über der Hälfte der Studien liegt der Anteil, der durch die Ansätze erklärt werden kann, bei 50–100%; bei Frauen etwas geringer. Da materielle/strukturelle Lebensumstände auch die psychosozialen Bedingungen und das Gesundheitsverhalten (indirekt) beeinflussen, ist ihr Einfluss – unabhängig vom Outcome – aber höher, als dies ohne eine gleichzeitige gemeinsame Analyse suggeriert wird. Schlussfolgerungen: Die drei wichtigsten Ansätze tragen alle zur Erklärung gesundheitlicher Chancenungleichheiten in der Morbidität, Mortalität und Gesundheit bei. Den materiellen/strukturellen Faktoren kommt die größte Bedeutung zuteil, da sie direkt als auch indirekt wirken. Maßnahmen zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheiten sollten demnach auf die materiellen/strukturellen Lebensbedingungen abzielen, ohne dabei aber die Stärkung psychosozialer Ressourcen sowie die Verringerung der Belastungen und der gesundheitsschädlichen Verhaltensweisen auszublenden.