Gesundheitswesen 2011; 73 - A112
DOI: 10.1055/s-0031-1283558

Qualitative Versorgungsforschung: Die Schwangerschaft als Statuspassage im Kontext einer nutzerinnenorientierten Gesundheitssicherung

K Mozygemba 1
  • 1Bremen

Übergänge im Lebenslauf wie die erste Schwangerschaft sind mit Irritationen und Unsicherheiten verbunden. Diese betreffen die Auseinandersetzung mit Rollenbildern, aber auch die Interpretation von Körperprozessen. Im Vortrag wird thematisiert, wie erstmals schwangere Frauen diesen Veränderungsprozess erleben, welche Funktionen der professionellen Begleitung für die Verkörperung der Lebensphase zukommen und welche Rückschlüsse sich daraus für eine nutzerinnenorientierte Versorgung ziehen lassen. Daten und Methoden: Den theoretischen Analyserahmen bildet eine Verbindung zwischen körper-leibtheoretischen Konzepten (Plessner, Lindemann und Schmitz) und dem Statuspassagenkonzept von Glaser und Strauss. Die Datengrundlage bilden 20 problemzentrierte Interviews mit Erstgebärenden (Theoretical Sampling). Diese wurden der Forschungsstrategie der Grounded Theory nach Strauss und Corbin folgend analysiert. Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, wie die Verschränkung von Körperwissen und Leiberleben das Mutterwerden konkretisiert und wie sich die Mutterrolle bereits vor der Geburt einverleibt. Zentral ist dabei die Übernahme von Verantwortung, die beispielsweise in der professionellen Bestätigung der „normalen„ Entwicklung des Fötus ihren Ausdruck findet und das Handeln der Frau als „gute Mutter„ legitimiert. Es zeigt sich aber auch, dass die Orientierung an der Idee professioneller Objektivität von der Entwicklung von Körpervertrauen weg und zu einer Intensivierung der medizinischen Überwachung führen kann. Diskussion/Schlussfolgerungen: Die Studienergebnisse zeigen, dass die professionelle Begleitung mehr ist als die institutionalisierte Verantwortungsübernahme für die Gesundheit von Mutter und Kind. Der Besuch der Vorsorge wird sozial erwartet und dementsprechend sanktioniert. Deutlich wird dabei, dass der Nutzen von Untersuchungen unterschiedlich bestimmt wird. So nutzen Frauen beispielsweise Ultraschalluntersuchungen zu einer (professionell nicht intendierten) Form psychosozialer Unterstützung „um„. Diese Umnutzungsprozesse verdeutlichen, dass Nutzerorientierung nicht nur über zweckrationale Kosten-Nutzen-Kalkulationen oder eine bloß formale Änderung der Angebotsstruktur erreicht werden kann. Für eine nutzerinnenorientierte Versorgungsgestaltung ist es notwendig, die gegenseitigen Aushandlungs- und Sinnschreibungsprozesse der Akteure einzubeziehen und so beispielsweise auch Medikalisierung als in der Lebenswelt verankert zu verstehen.