Gesundheitswesen 2011; 73 - A264
DOI: 10.1055/s-0031-1283561

Veränderung der Inanspruchnahme des Beratungsangebotes psychologischer Beratungsstellen deutscher Studentenwerke – Einschätzungen, Hintergründe und mögliche Ursachen aus Expertensicht.

M Müller 1, C Göbel 1
  • 1Universität Bremen, Bremen

Einleitung/Hintergrund: Im Gegensatz zu den, vom Studienabschluss unabhängigen, zeitlosen Umständen der Studierenden (Geldmangel) haben sich durch die Einführung der Abschlüsse Bachelor/Master die strukturellen Rahmenbedingungen des Studiums grundlegend verändert. Zeitgleich zur Systemumstellung kann eine Erhöhung der Inanspruchnahme psychologischer Beratung durch Studierende festgestellt werden. Empirische Befunde für einen Zusammenhang zwischen gestiegener Beratungsinanspruchnahme und der Studienstrukturumstellung fehlen jedoch bislang. Primäres Untersuchungsziel ist deshalb die Überprüfung dieses Zusammenhangs. Sekundär sollen weitere Indikatoren zur Erklärung gestiegener Beratungszahlen identifiziert werden. Material/Methoden: Kern der Untersuchung war eine bundesweit angelegte quantitative schriftliche Expertenbefragung von 40 studentenwerksgetragenen psychologischen Beratungsstellen. Einschlusskriterium war die Zugehörigkeit zum Dachverband Deutscher Studentenwerke. Die Bruttostichprobe zählte 173 Berater/innen. Diese wurden im Zeitraum vom 06.12.2010 bis 05.01.2011 um subjektive Einschätzungen zum Inanspruchnahmeverhalten und zu möglichen Ursachen im Hinblick auf die Systemumstellung gebeten. Der Feldzugang erfolgte dabei entweder per Email oder Post. Die Daten aus 76 Fragebögen (Responserate: 43,93%) wurden mittels uni- und bivariater Statistik analysiert. Ergebnisse: Nicht die Systemumstellung selbst, sondern die damit einhergehenden Veränderungen führen in der Folge zu einem Beratungsanstieg. Verschlechterte Studienbedingungen (Zustimmung: 91,9%) und ein systemabhängiger Anstieg psychosozialer Probleme von Studierenden (Zustimmung: 78,3%) lassen erahnen, dass Themen wie Stressbewältigung sowie Vereinbarkeit von Studium und Erwerbstätigkeit, vergleichend zu Diplomzeiten, heute vordergründige Beratungsanlässe sind. Insgesamt bestätigen 86,2% der Befragten die Systemumstellung als relevante Ursache für den Beratungsanstieg. Weitere Erklärungsansätze können eine geringere Hemmschwelle zur Beratungsinanspruchnahme, erhöhte Öffentlichkeitsarbeit der Beratungsstellen oder gestiegene Studierendenzahlen sein. Diskussion/Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse zeigen, dass das Bachelor- und Mastersystem deutliche Schwächen zulasten des Wohlbefindens der Studierenden aufweist. Die daraus abgeleiteten Handlungsbedarfe beziehen sich in erster Linie auf die Verbesserung personeller Strukturen, gefolgt von studienstrukturellen Änderdungsvorschlägen. Trotz bestätigter Zusammenhänge besteht hinsichtlich der hier vorhandenen Studienlimitationen weiterer Forschungsbedarf. Ein zukünftiger Fokus auf die Studierendengruppen als Studienpopulation wäre sinnvoll. Im Sinne der Gestaltung gesundheitsförderlicher Versorgungsstrukturen sollte über Reformierungen des Hochschulsystems nachgedacht werden.