Gesundheitswesen 2011; 73 - A83
DOI: 10.1055/s-0031-1283599

Soziale Determinanten des Ernährungsverhaltens im Jugendalter. Die subjektive Perspektive in der Ungleichheits- und Sozialisationsforschung und ihr Beitrag für die Erklärung des Gesundheitsverhaltens

F Rosenbach 1, M Richter 2
  • 1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin
  • 2Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern, Bern

Einleitung/Hintergrund: Bereits im Kindes- und Jugendalter lassen sich deutliche Zusammenhänge zwischen sozialer Ungleichheit und dem Ernährungsverhalten der Heranwachsenden nachweisen. Eine ausschließlich an klassischen Ungleichheitsdimensionen ausgerichtete Erforschung gesundheitlicher Ungleichheiten kann jedoch nur wenig zur Erklärung dieser Unterschiede beitragen. Aktuelle theoretische Überlegungen aus der Ungleichheits- und Sozialisationsforschung machen auf die Bedeutung der subjektiven Wahrnehmung Heranwachsender aufmerksam sind immer wieder hinsichtlich ihrer Anschlussfähigkeit für die Analyse gesundheitsrelevanter Verhaltensweisen diskutiert worden. Die Bedeutung lebensweltlicher Kontexte ebenso wie subjektiver Situationsdeutungen wurden in der Erforschung gesundheitlicher Ungleichheit allerdings oft ausgeblendet. Deren Erklärungsleistung für die Ausbildung eines ungünstigen Ernährungsverhaltens bei Jugendlichen wird im Beitrag analysiert. Daten und Methoden: Datenbasis ist der deutsche Teil der internationalen Studie „Health Behaviour in School-aged Children (HBSC)„ aus dem Jahr 2006 (N=5.046). Es wurden zunächst bivariate Zusammenhänge zwischen den klassischen sozioökonomischen und -demographischen Merkmalen sowie den verschiedenen Indikatoren der Sozialisationsinstanzen (Familie, Wohnumfeld, Schule) einerseits und einem ungünstigen Ernährungsverhalten andererseits ermittelt, angewandt wurden deskriptive und schließende Methoden. In einem zweiten Schritt wurden die einzelnen Variablen eines Kontexts gemeinsam analysiert, abschließend wurde ein gemeinsames Regressionsmodell gerechnet. Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass sozioökonomische Merkmale nur einen geringen Einfluss auf das Ernährungsverhalten bei 11- bis 15-Jährigen haben. Vielmehr leisten die Sozialisationskontexte Familie und Schule jeweils einen eigenen Beitrag zur Erklärung eines ungünstigen Ernährungsverhaltens. Einige der Variablen sind den klassischen sozioökonomischen und -demographischen Merkmalen in ihrer Erklärungsleistung sogar überlegen. Bildungsrelevante Merkmale nehmen insgesamt eine herausragende Stellung ein; die Prädiktoren kulturelles Kapital der Herkunftsfamilie sowie von den Schülerinnen wahrgenommene Schulleistung und Schulstress können das Ernährungsverhalten dabei besser erklären als die Kategorie Schulform. Diskussion/Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse sprechen für eine stärkere Berücksichtigung subjektiver Merkmale sowie eine differenziertere Analyse von Sozialisationskontexten bei der Erklärung des Gesundheitsverhaltens.