Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2013; 18(3): 111-122
DOI: 10.1055/s-0033-1335470
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mehr Gesundheit für den Euro durch Qualitäts- und Patientenorientierung: Plädoyer für einen integrierten Krankenversicherungsmarkt

More Health for Money through Orientation on Quality and the Patient: Plea for an Integrated Health Insurance Market 
J. Graalmann
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Publication Date:
09 August 2013 (online)

Zusammenfassung

Unser weltweit nahezu einmaliges duales Krankenversicherungssystem aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung ist historisch gewachsen. Es trägt aber nicht dazu bei, die Herausforderungen für die künftige Absicherung des Krankheitsrisikos zu bezahlbaren Preisen zu bewältigen. Ausgangspunkt für einen zukunftsfähigen Krankenversicherungsmarkt muss eine stärkere Ausrichtung am Patientennutzen und den Verbraucherinteressen sein. Die Vorstellung, dass es den Patienten/Versicherten gut geht, wenn es den Leistungsanbietern/Krankenversicherungen gut geht, muss umgekehrt werden: Den Leistungsanbietern und Krankenversicherungen sollte es dann gut gehen, wenn es den Patienten/Versicherten gut geht. Die wesentlichen Essentials eines integrierten Krankenversicherungsmarktes liegen daher in einer rechtlich garantierten Wahlfreiheit und einem faktisch realisierbaren Wechselrecht der Versicherten in einem wettbewerblich orientierten Krankenversicherungssystem. Der Wettbewerb ist dabei stringent versorgungs- statt vertriebsorientiert auszugestalten. Die demografische Entwicklung ist auf der Ausgabenseite nicht das zentrale Problem der Krankenversicherung, vielmehr ist diese Herausforderung (zwischenzeitlich mehrfach nachgewiesen) beherrschbar. Der Einfluss auf Preis, Menge und Qualität der Leistungen ist und bleibt vielmehr der entscheidende Faktor für die zukunftsfeste Ausgestaltung eines finanzierbaren Krankenversicherungsschutzes. Die konkrete Ausformung der evidenzbasierten Medizin, eine konsequentere Nutzenbewertung und eine stringentere Orientierung an (in Teilen noch zu definierenden) Qualitätsmaßstäben sind Merkmale für eine erfolgreiche zukunftsfähige Aufstellung eines reformierten Krankenversicherungsmarktes – das heutige duale Versicherungssystem von GKV und PKV leistet dazu keinen Beitrag. Für die Ausgestaltung eines integrierten Krankenversicherungsmarkts sind die „Spielregeln“ gewichtiger als die Rechtsformfrage, die nachrangig zu beantworten ist. Nach der Bundestagswahl hat die Gesundheitspolitik die Chance, den bisherigen „schleichenden“ Prozess einer Konvergenz der Krankenversicherungssysteme in einen aktiven Prozess in Richtung eines gemeinsamen, integrierten Krankenversicherungsmarkts zu wandeln.

Abstract

Our dual health insurance system, a system comprised of both statutory and private health insurance and almost unique in the world, has been shaped by history. Yet despite its gradual formation over time, it makes no contribution towards overcoming the future challenge of continuing to provide good quality health care at affordable prices. The starting point for a sustainable health insurance market must be greater focus on patient benefit and consumer interests. The idea that the patient/policyholder does well when the provider/health insurance company does well must be reversed: The provider and health insurance company should do well when the patient/policyholder does well. The essentials of an integrated health insurance market therefore rest in a legal guarantee of the right to choose insurer and a de facto right to switch provider in a system based on competition with competition strictly based on care and not on the market. In terms of expenditure, the demographic trend is not the central problem faced by health insurance companies – this challenge is surmountable (as has meanwhile been proved on numerous occasions). Rather, the impact on price, quantity and quality of service is and remains the crucial factor in the sustainable provision of affordable health insurance. The actual shaping of evidence-based medicine, consistent evaluation of benefit and a stricter focus on quality benchmarks (yet to be defined in some areas) are the central features of a successful and sustainable plan for a reformed health insurance market. Yet today's dual system of statutory and private health insurance makes no contribution to this. For the shaping of an integrated health insurance market, the “rules of the game” are more important than the question of legal form which can be answered later. After the general election, there is the opportunity in health policy to turn the present “creeping” convergence of the health insurance system into an active process towards a joint integrated health insurance market.

 
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