Gesundheitswesen 2013; 75 - A3
DOI: 10.1055/s-0033-1337449

Die Entwicklung des Wiener öffentlichen Gesundheitsdienstes 1938 bis 1945: Modell oder lokaler Sonderfall?

H Czech 1
  • 1Wien, Österreich

Mit der Annexion Österreichs im März 1938 wurde Wien zur zweitgrößten Stadt im Deutschen Reich. In der Perspektive der biopolitischen Ordnungsvorstellungen der neuen Machthaber warf Wien besondere Probleme auf: eine jüdische Gemeinde von beinahe 200.000 Personen, die höchste Zahl von „Mischlingen“ nach den Nürnberger Gesetzen sowie im Zusammenhang mit der geographischen Nähe zu Südosteuropa ein angeblich besonders hoher Anteil an erbbiologisch und bevölkerungspolitisch unerwünschten Personen.

Diese Umstände blieben nicht ohne Auswirkungen auf die Entwicklung des öffentlichen Gesundheitswesens von 1938 bis 1945. Die aus dem „Altreich“ bekannten Maßnahmen der selektiven Fürsorge und „ausmerzenden“ Rassenhygiene wurden innerhalb kurzer Zeit mit großer Radikalität ins Werk gesetzt. Der Massenmord an PsychiatriepatientInnen stand hier nicht am Ende einer längeren Radikalisierungsphase, sondern markierte den Beginn der Reorganisation des Gesundheitswesens, indem er den nötigen Spielraum schuf, um neue, den spezifischen Zielen der „Erb- und Rassenpflege“ dienende Institutionen einzurichten.

Der Vortrag zeichnet die Implementierung des rassenhygienischen Programms der Nationalsozialisten im Rahmen des Wiener Gesundheitswesens nach, wobei Fragen nach den spezifischen regionalen Bedingungen und Entwicklungen im Vordergrund stehen.