Gesundheitswesen 2013; 75 - A4
DOI: 10.1055/s-0033-1354000

Entwicklungsgefährdungen bei 3- bis 6-Jährigen: Maßnahmen zur gezielten individuellen Förderung in Kindertageseinrichtungen in sozial benachteiligten Regionen in Mecklenburg-Vorpommern (M-V)

A Gottschling-Lang 1, M Franze 1, W Hoffmann 1
  • 1Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Community Medicine, Greifswald

Hintergrund: Bis zu 17% der Einschüler in M-V weisen im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen Entwicklungsverzögerungen und somit ungünstige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Schulstart auf [1]. Die Früherkennung von Entwicklungsgefährdungen bei 3- bis 6-Jährigen speziell aus Kitas in sozial benachteiligten Regionen ist seit 2010 durch die Novellierung des Kindertagesförderungsgesetzes (KiföG M-V) gesetzlich geregelt. Das KiföG M-V beinhaltet (1) die jährliche Durchführung eines Screeningverfahrens, (2) die anschließende gezielte individuelle Förderung von Kindern mit Entwicklungsgefährdungen und (3) die Beteiligung dieser Kitas an einer Evaluation. Zur Umsetzung des KiföG M-V werden diesen Kindertageseinrichtungen vom Land zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt. Die Mittelverwendung im Jahr 2012 wird im Folgenden für die Bereiche motorische Entwicklung und Gesundheitsförderung (einschließlich Zahngesundheit) berichtet. Methoden: 108 Kindertageseinrichtungen erhielten einen teilstandardisierten Fragebogen. Dieser erfasste strukturell-organisationsbezogene Angaben, Umfang und Verwendung der zusätzlichen finanziellen Mittel sowie durchgeführte Maßnahmen (Alltagsaktivitäten, Programme, Kooperationen) zur gezielten individuellen Förderung. Ergebnisse: Insgesamt liegen Angaben aus 99 Kindertageseinrichtungen vor (Response: 91,7% Stand: März 2013). Im Jahr 2012 erhielten diese Einrichtungen durchschnittlich 38.208 Euro für Maßnahmen der gezielten individuellen Förderung. 87,9% (n = 87) der Kitas nutzten diese Gelder für zusätzliches Personal, der Großteil (63,2%) entfiel auf Erzieher ohne spezifische Qualifikation. Nur 4,6% der Kitas stellten Fachkräfte zur gezielten Förderung der Motorik an (Sporttherapeut: n = 1 Ergotherapeut: n = 3). 10,3% (n = 9) der Einrichtungen stellten Heilerzieher für den Bereich Gesundheitsförderung ein. Hinzu kommen Fachkräfte für Frühförderung in 4,6% (n = 4) der befragten Kindertageseinrichtungen. 91,0% (n = 90) der Kindertageseinrichtungen gaben an, die Förderung motorischer Kompetenzen gezielt in den Alltag zu integrieren. 76,8% (n = 76) bestätigten dies auch für Aktivitäten zur Gesundheitsförderung. Bzgl. der Motorik wurden vorrangig tägliche Bewegungsangebote/-spiele (einschließlich Frühsport mit Musik) genannt (n = 61). Wöchentliche Angebote existieren in Form von Physio-/Ergotherapie (n = 6), Tanzkursen (n = 7), Yoga (n = 6) und Schwimmkursen (n = 5). Hinsichtlich der Gesundheitsförderung wurden vorwiegend Kneipp-Angebote (n = 20), tägliche Aufenthalte im Freien (n = 18) sowie Entspannungsangebote (n = 12) genannt. Hinzu kommt das tägliche gemeinsame Zähneputzen (n = 34) sowie jährliche Zahnarztbesuche (n = 29). 14 Kindertageseinrichtungen (14,1%) führen konkrete Programme zur Bewegungsförderung durch („Tiger Kids“, „Bewegter Kindergarten“, „Lotti Turndrache“). Im Bereich der Gesundheitsförderung wurde lediglich die Kampagne „Ich geh zur U – und was machst Du?“ (n = 2) sowie das „Kroko-Zahn-Krokodil“ (n = 3) und das Projekt „Gesunde Zähne“ der Universitätsmedizin Greifswald (n = 1) als konkrete Programme genannt. Kooperationen zur Förderung motorischer Kompetenzen wurden überwiegend mit Physio-/Ergotherapeuten (47,1%) und Sportvereinen (28,6%) unterhalten, im Rahmen der Gesundheitsförderung mit Gesundheitsämtern (36,1%), Krankenkassen (19,4%) und Zahnärzten bzw. Zahnputzschwestern (22,2%). Schlussfolgerung: Trotz zusätzlicher finanzieller Mittel bleiben die Maßnahmen zur gezielten individuellen Förderung sehr allgemein und dürften sich kaum von anderen Kindertageseinrichtungen unterschieden. Problematisch ist sicherlich der Erzieher-Kind-Schlüssel in M-V (1:17): Zusätzliche Gelder wurden überwiegend zur allgemeinen Entlastung des pädagogischen Personals genutzt. Aufgrund der geringen Zahl der genannten Programme ist anzunehmen, dass der Zugang der Erzieherinnen und Erzieher zu existierenden, evidenzbasierten Förderprogrammen noch begrenzt ist. Eine bessere Weiterbildungspraxis in Kindertageseinrichtungen könnte Kindertageseinrichtungen bei der Auswahl und strukturierten Umsetzung von Fördermaßnahmen unterstützen und die Anwendung evidenzbasierter Maßnahmen fördern. Inwieweit die Kindergesundheit von der Mittelzuwendung profitiert, wird derzeit anhand des Vergleichs von Ergebnissen der Schuleingangsuntersuchung von Kindern dieser Kindertageseinrichtungen mit Kindern aus Kindertageseinrichtungen einer gematchten Kontrollgruppe untersucht.