Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2014; 19(2): 52
DOI: 10.1055/s-0033-1362459
Lexikon Gesundheitsökonomie
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Publication Date:
09 May 2014 (online)

Zahlungsbereitschaft (Willingness-to-pay)

Die Zahlungsbereitschaft (engl. Willingness-to-pay, WPT) ist der maximale (monetäre) Betrag, den ein Individuum oder Kollektiv gerade noch bereit ist zu zahlen, um ein Gut oder einen bestimmten Vorteil (z. B. eine Gesundheitsleistung) zu erlangen bzw. um den Verlust eines solchen zu vermeiden. Je größer die Zahlungsbereitschaft ist, desto höher ist der Wert, der dem entsprechenden Gut beigemessen wird. Der Ansatz der Zahlungsbereitschaft ist ein volkswirtschaftliches Konzept, das auf einer subjektiven Nutzenkonzeption basiert. In der Gesundheitsökonomie wird die Methodik u. a. eingesetzt, um – vor allen Dingen schwer messbare indirekte und intangible – Kosten- und Nutzeneffekte von Gesundheitsleistungen, -programmen etc. monetär zu bewerten. Diesbezüglich findet das Verfahren insbesondere bei ▶Kosten-Nutzen-Analysen ihre Anwendung, da bei dieser Form der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung alle Effekte in Geldeinheiten dargestellt werden.

Darüber hinaus können gesellschaftliche Zahlungsbereitschaften herangezogen werden, um Schwellenwerte im Rahmen von Kosten-Nutzen-Bewertungen zu ermitteln. Der Schwellenwert ergibt sich hierbei aus der marginalen gesellschaftlichen Zahlungsbereitschaft, also jenem Geldbetrag, den die Gesellschaft gerade noch bereit ist, für eine zusätzliche Einheit des medizinischen Effektes, Nutzens oder Nutzwertes zu zahlen. Auf Basis des Schwellenwertes kann dann entschieden werden, ob vor dem Hintergrund knapper Ressourcen die entsprechenden Mittel zur Erstellung des entsprechenden Gesundheitsgutes aufgewendet werden sollten. Nach herrschender Auffassung zur Determinierung der gesellschaftlichen Wohlfahrt wäre die gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft über eine Aggregation der individuellen Zahlungsbereitschaften zu bestimmen.

Zur Ermittlung der individuellen Zahlungsbereitschaft stehen 2 unterschiedliche Ansätze zur Verfügung. Die Zahlungsbereitschaft kann einerseits indirekt aus dem tatsächlichen Verhalten der Individuen abgeleitet werden, z.B. indem anhand sogenannter wage-risk-Studien aus der Gegenüberstellung von Lohndifferenz und Erhöhung des Sterberisikos eines gefährlicheren Jobs auf die individuelle Bewertung von Leben geschlossen wird. Zum Anderen kann die Zahlungsbereitschaft aus einer direkten Befragung der Individuen resultieren, bei der die Befragten einen hypothetischen Sachverhalt monetär bewerten sollen. Die direkte Methodik wird weiterhin in das „contingent valuation“-Verfahren und die Conjoint-Analyse unterteilt. Die „contingent valuation“-Methodik bezieht sich immer auf eine einzige Bewertung des Gesamtproduktes/-programmes. Dazu kann die maximale Zahlungsbereitschaft direkt durch eine einzelne Frage, über die Auswahl eines Betrages aus mehreren Vorgaben oder über eine Auktion bestimmt werden. Außerdem kann sie indirekt erfragt werden, indem die Probanden aus vorgegebenen Intervallen eines auswählen, ein einmaliges Preisangebot oder mehrfache Angebote erhalten, das/die sie jeweils annehmen oder ablehnen müssen. Der Punktwert der Zahlungsbereitschaft muss bei der indirekten Befragung dann durch statistische Methoden ermittelt werden. Demgegenüber ist das Ziel der Conjoint-Analyse, die Präferenzen der Befragten für Teilaspekte eines Gesundheitsprogrammes oder -produktes zu quantifizieren. Hierzu müssen die Probanden unterschiedliche (fiktive) Programm-/Produktbündel beurteilen. Auf Basis dieser Befragung können dann die Werte der Teilfaktoren sowie deren Einfluss auf die Gesamtzahlungsbereitschaft statistisch bestimmt werden.

Die Stärken der Zahlungsbereitschafts-Methode liegen in der umfassenden monetären Erfassung der Effekte einer medizinischen Maßnahme, mit der auch schwer messbare indirekte und insbesondere intangible Größen kalkuliert werden können. Kosten-Nutzen-Bewertungen, basierend auf marginalen gesellschaftlichen Zahlungsbereitschaften, bieten zudem das Potenzial einer effizienten Allokation der Ressourcen. Allerdings sind mit der Ermittlung der individuellen Zahlungsbereitschaft auch verschiedene Probleme verbunden. Da individuelle Zahlungsbereitschaften aufgrund persönlicher Charakteristika stark variieren können, gilt es, einen Selektionsbias möglichst zu vermeiden. Zudem könnten Probanden falsche Angaben machen, da sie mit der Entscheidungssituation überfordert sind oder die Ergebnisse bewusst manipulieren wollen. Das Manipulationspotenzial kann mit komplexeren Verfahren zwar eingeschränkt werden, jedoch erfordern diese geschulte Interviewer. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Bewertungen hypothetischer Situationen oft nicht mit den Ergebnissen realer Entscheidungssituationen übereinstimmen. Eine indirekte Ermittlung ist aber bei den meisten Fragestellungen nicht möglich. Zudem müsste sichergestellt werden, dass den Probanden alle relevanten Risiken bekannt sind und dass das beobachtete Verhalten nicht durch andere Umstände beeinflusst wird. Trotz aller Kritikpunkte sind mit qualitativ hochwertigen Studien valide Ergebnisse zur Zahlungsbereitschaft zu erzielen.

 
  • Literaturhinweis:

  • 1 Breyer F, Zweifel P, Kifman M. Gesundheitsökonomik. (5. Auflage), Berlin: 2005
  • 2 Drummond MF, Sculpher MJ, Torrance GW, O’Brien BJ, Stoddart GL. Methods for the Economic Evaluation of Health Care Programmes. (3. Auflage), Oxford: 2005
  • 3 Gafni A. Willingness-to pay as a measure of benefits: Relevant questions in the context of public decisionmaking about health care programs. Medical Care 1991; 29 (12) 1246-52
  • 4 O’Brien B, Viramontes JL. Willingness-to-pay: A Valid and Reliable Measure of Health State Preference?. Medical Decision Making 1994; 14 (3) 289-97
  • 5 Schöffski O, Graf von der Schulenburg JM. Gesundheitsökonomische Evaluationen. (3. Auflage), Berlin: 2007