Gesundheitswesen 2014; 76 - A13
DOI: 10.1055/s-0034-1386863

Empowerment von Senioren für gesunde Ernährung im Gemeindesetting – Ergebnisse aus dem Projekt GENIESSER Oberpfalz zu Motivationen, Erwartungen und Interessen der Teilnehmenden

S Brandstetter 1, J Curbach 1, V Lindacher 1, J Rüter 2, B Warrelmann 3, J Loss 4
  • 1Medizinische Soziologie, Universität Regensburg, Regensburg
  • 2Medizinische Soziologie, Universität Regensburg und Präventivmedizin, Regensburg
  • 3Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Regensburg
  • 4Medizinische Soziologie, Universität Regensburg

Hintergrund: Gesundheitsförderung nach dem Empowerment-Ansatz sieht vor, Individuen zu befähigen, ihr gesundheitsbezogenes Verhalten und ihr Lebensumfeld selbst aktiv zu verändern. Der Empowerment-Ansatz hat sich in der Gesundheitsförderung in vielen Bereichen bereits bewährt, zum Thema Empowerment für gesunde Ernährung liegen jedoch wenig Interventionserfahrungen oder Forschungsergebnisse vor [1]. Ziel des Projektes GENIESSER Oberpfalz ist es deshalb zu untersuchen, wie Empowerment im Ernährungsbereich angewendet werden kann. Dazu wurden in fünf Oberpfälzer Gemeinden Gruppen mit je fünf bis zwölf Senioren gegründet, die in regelmäßigen Treffen Ideen zur Verbesserung ihrer Ernährungssituation entwickeln und umsetzen. Im Rahmen der Prozessevaluation wurde analysiert, welche Motivationen Senioren für eine Teilnahme an einer Gruppe zum Thema „gesunde Ernährung“ haben und welche Erwartungen und Interessen sie mitbringen.

Methodik: Für die Prozessevaluation wurde ein multi-methodisches, qualitativ-exploratives Evaluationskonzept gewählt: Die Sichtweisen der Teilnehmenden wurden durch semistandardisierte Interviews zu Beginn und am Ende der Gruppenaktivitäten (n = 35) und in begleitenden Fokusgruppendiskussionen (n = 6) exploriert; der Ablauf der einzelnen Treffen sowie die Entwicklung der Gruppe über den Verlauf der Zeit wurde in strukturierten Beobachtungsprotokollen erfasst (n = 76). Die Daten wurden computergestützt (Atlas.ti) mittels Inhaltsanalyse nach Mayring [2] ausgewertet.

Ergebnisse: Als Ausgangsmotivation für die Teilnahme an den Gruppentreffen nannten die Senioren das Bedürfnis, ihr oftmals bereits umfängliches Wissen über gesunde Ernährung zu erweitern und wahrgenommene Widersprüche in der massenmedialen Vermittlung von Ernährungsinformationen zu spezifischen Ernährungsfragen aufzuklären. Motivierend für die regelmäßige und langfristige Teilnahme an den Gruppentreffen war das Bedürfnis nach Erfahrungsaustausch innerhalb der Gruppe.

Die überwiegende Zahl der Teilnehmenden erwartete anfangs ein Angebot zur Ernährungsberatung bzw. Gewichtsreduktion. Dieses sollte nach den Vorstellungen der Teilnehmenden vor allem durch die Vermittlung von Wissen und das Präsentieren von Handlungsanweisungen oder Empfehlungen geprägt sein. Die Teilnehmenden waren sehr heterogen hinsichtlich ihrer Interessen an den vielfältigen Aspekten gesunder Ernährung (Umgang mit chronischer Erkrankung, Nährstoffbedarf im Alter, Lebensmittelangebot vor Ort). Auch Vertreter sehr spezifischer „Ernährungsideologien“ (z.B. Blutgruppendiät) fanden sich in einigen der Gruppen. Jenseits solcher Einzelinteressen entwickelten die Teilnehmer ein gemeinsames Interesse für regional und/oder ökologisch produzierte Lebensmittel, für Themen des Verbraucherschutzes (z.B. Lebensmittelkennzeichnung) sowie für das gemeinsame Kochen. Dabei zeigte sich, dass die Frage nach ernährungsphysiologisch gesunder Ernährung für einen Großteil der Teilnehmer eher von untergeordneter Bedeutung war.

Schlussfolgerungen: Die teilnehmenden Senioren wiesen eine hohe Motivation für die Beschäftigung mit dem Thema „gesunde Ernährung“ auf. Die vielfältigen, teils widersprüchlichen individuellen Interessen sowie die konkreten, teils aber nicht erfüllbaren Erwartungen an die Gestaltung der Gruppentreffen stellten vor allem während der ersten Gruppentreffen eine Herausforderung dar. Langfristig gelang es jedoch, die Interessen und Präferenzen der Teilnehmer in den einzelnen Gruppen zu bündeln und in gemeinsame Gruppenaktivitäten zu überführen.