Gesundheitswesen 2014; 76 - A131
DOI: 10.1055/s-0034-1386981

Einfluss von Alter und sozialer Risikofaktoren auf die Unterschätzung des eigenen kardiovaskulären Risikos bei Frauen

S Oertelt-Prigione 1, U Seeland 1, M Rücke 1, D Wollmach 1, V Regitz-Zagrosek 1
  • 1Charité – Universitätsmedizin, Berlin

Einleitung: Die Unterschätzung des eigenen kardiovaskulären Risikos ist besonders in der weiblichen Bevölkerung ausgeprägt und scheint einen relevanten Beitrag zu der weiblichen Übermortalität darzustellen. Aus präventionstechnischer Sicht stellt dieses Risiko eine besondere Herausforderung dar, da die mangelnde Erkennung der eigenen Betroffenheit die Erreichbarkeit durch Präventionsangebote signifikant erschwert. Ziel dieser Studie war somit die Quantifizierung dieser Unterschätzung und die Identifikation ihrer potentiellen Prädiktoren zur Optimierung von zielgruppenspezifischen Präventions- und Aufklärungsangeboten.

Methodik: 3600 Frauen aus allen Berliner Bezirken wurden zufällig selektiert und eingeladen an der BEFRI (Berliner Frauen Risikoevaluation) Studie teilzunehmen. 1199 Frauen haben sich zurückgemeldet und 1065 beschlossen an den Untersuchungen teilzunehmen. In allen untersuchten Bezirken lagen die Teilnahmeraten zwischen 19% und 34%. Die Frauen wurden in 5 10-Jahresklassen gleicher Stärke eingeteilt (n = 203/205/220/211/223) und in Bezug auf soziale, versorgungstechnische und medizinische Risikofaktoren analysiert. Das selbst eingeschätzte Risiko wurde mit dem modifizierten frauenspezifischen Framingham Index nach Mosca (Mosca L, Benjamin EJ, Berra K et al., Circulation, 2011) verglichen. Charakteristika derjenigen, die ihr Risiko unter-, bzw. überschätzten wurden in uni- und multivariaten Analysen mit denjenigen verglichen, die es korrekt einschätzten.

Ergebnisse: 41,4% der Frauen schätzten ihr Risiko korrekt ein, 48,7% unterschätzten ihr Risiko und 10% überschätzten es. Kardiovaskuläre Risikofaktoren korrelierten linear mit Alter, während soziale Risikofaktoren (niedriger Bildungsstatus, niedriger Lohn, einfacher Dienst, Kinder, alleine leben, GKV) keine signifikante Alterskorrelation aufwiesen. Alter stellte den signifikantesten Prädiktor für Unterschätzung dar (univariater OR= 13,8 in Altersstratum 5 vs 1, 95% CI: 8,19 – 23,08, p < 0,0001; multivariat OR= 2,2, 95% CI: 1,2 – 3,9, p = 0,008), neben Arbeitslosigkeit (OR= 1,81, 95% CI: 1,2 – 2,7, p = 0,003) und der Kombination drei oder mehr sozialer Risikofaktoren (OR= 1,77, 95% CI: 1,2 – 2,7, p = 0,008). Interessanterweise, waren diese einzeln nur bedingt mit subjektiver Unterschätzung assoziiert, erwiesen sich aber als signifikant prädiktiv, wenn sie in Kombination auftraten.

Schlussfolgerungen: Unsere Studie beweist wie Alter und soziale Risikofaktoren signifikant mit Unterschätzung des eigenen kardiovaskulären Risikos assoziierten. Daher ist besonders die Bevölkerung, die am meisten von Präventionsmaßnahmen profitieren könnte, bzw. die das höchste Risiko aufweist, sich am wenigsten dessen bewusst. Präventionstechnisch stellt dies nicht nur eine Herausforderung dar, sondern offenbart die Notwendigkeit, nicht nur zielgruppenspezifische Maßnahmen zu entwickeln, sondern auf einer übergeordneten Ebene anzusetzen und die gesundheitliche Aufklärung von Risikogruppen zu potenzieren, um eine Wahrnehmung der subjektiven Relevanz von Präventionsangeboten überhaupt zu ermöglichen.