Gesundheitswesen 2014; 76 - A186
DOI: 10.1055/s-0034-1387036

Arbeitsbezogene Fehlbelastungen, Bewältigungsstrategien und unterstützende Strukturen bei langzeiterkrankten Lehrkräften – eine qualitative Analyse

A Steputat 1, D Druschke 1, K Pergold 1, R Seibt 1
  • 1Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden, Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin, Dresden

Ziel: Der Lehrerberuf ist durch hohe psycho-emotionale Anforderungen gekennzeichnet, aus denen Fehlbelastungen resultieren können. Diese erhöhen das Risiko für psychische und psychosomatische Erkrankungen [1], deren Folgen sich unter anderem in erhöhten Frühpensionierungsquoten (in 2011: 20% [2]) bei Lehrkräften widerspiegeln, d.h. psychische Gesundheit ist sowohl eine Voraussetzung für die berufliche Anforderungsbewältigung als auch eine Folge langfristig einwirkender Beanspruchungsprozesse. Ob und wie sich Belastungen im Schulalltag auswirken, ist auch durch die Qualität sozialer Beziehungen determiniert. Ziel der Studie ist es, erkrankungsrelevante Fehlbelastungen und vorhandene Strategien zur Belastungsbewältigung bei langzeiterkrankten Lehrkräften (LEL), die eine Risikogruppe für vorzeitige Pensionierungen darstellen, qualitativ zu analysieren.

Methodik: Die Datengewinnung bei den LEL erfolgte von Mai 2012 bis September 2013 während ihres stationären Aufenthalts in einer Klinik für psychische und psychosomatische Erkrankungen. Als Erhebungsinstrument diente ein halbstandardisiertes, leitfadengestütztes Experteninterview. Als langzeiterkrankt gelten Personen mit einer vorliegenden Arbeitsunfähigkeit von länger als sechs Wochen innerhalb eines Jahres. In die Analyse wurden 33 LEL (42% verbeamtet; 29 Frauen) einbezogen. Das Durchschnittsalter der Stichprobe betrug 52,5 ± 6,6 Jahre. Die Hauptfragestellungen betrafen Art und Umfang der vor der Erkrankung vorliegenden – (Fehl-)Belastungen sowie unterstützende Strukturen im Krankheitsprozess. Die Auswertung der aufgezeichneten und transkribierten Interviews wurde mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring [3] vorgenommen (Kategorienbildung). Soziodemografische Angaben wurden zusätzlich mit einem Berufsanamnesebogen erfasst.

Ergebnisse: Die interviewten LEL nehmen bei ihrer Tätigkeit unterschiedliche Fehlbelastungsquellen wahr, die vorrangig in den Arbeitsbedingungen und der Arbeitsorganisation (Personalmangel, häufig wechselnde Anforderungen von Seiten der Kultusministerien), aber auch in intra- (Ängste, Erwartungen) und interpersonellen Faktoren (Probleme mit Schülern, Kollegen, Schulleitung) verortet sind. Die stärksten Fehlbelastungsquellen stellen die quantitative Arbeitsüberlastung (20%), die fehlende Anerkennung von der Gesellschaft (21%) und das Fehlen von leistungsgerechter Bezahlung (41%) dar. Im Umgang mit Belastungen werden von den LEL vorwiegend aktive Bewältigungsstrategien (53%: Sport, kulturelle Aktivitäten) eingesetzt. Nur wenige LEL (10%) verfügen über keine Strategie zur Bewältigung der beruflichen Belastungen. Unterstützung bei Problemen bzw. während des Krankheitsprozesses erhalten LEL am häufigsten durch das Kollegium (28%) und durch die Schulleitung (16%). Andererseits sind 9% bzw. 11% der Befragten der Ansicht, dass schwierige Beziehungen zu Kollegen bzw. zur Schulleitung zur Entwicklung ihrer Erkrankung beigetragen haben.

Schlussfolgerung: Zur Verminderung von Fehlbelastungen sind die Arbeitsbedingungen ein zentraler Ansatzpunkt für Gestaltungsmaßnahmen – vor allem der Personalbedarf, die Unterrichtsplanung sowie die Umsetzung von Anforderungen der Kultusministerien, aber auch das öffentliche Image des Lehrerberufes. Im individuellen Fall sollte die Verfügbarkeit und Wirksamkeit von Bewältigungsstrategien hinterfragt werden, da zwar von der Mehrheit der LEL Copingmaßnahmen angegeben wurden, diese aber in Anbetracht der langwierigen Krankheitsprozesse möglicherweise ineffektiv eingesetzt werden. Überdies ist es von Bedeutung, interpersonelle Konflikte mit der Schulleitung sowie innerhalb des Kollegiums zu ergründen und – möglicherweise unter Einbeziehung neutraler Berater – konsensfähige Lösungsstrategien zu erarbeiten; denn ein erfolgreicher Umgang mit diesen beruflichen Interaktionen ist für die Erhaltung der Gesundheit bedeutsam. Der Zusammenhang zwischen Beziehungsarbeit und psychischer Gesundheit ist jedoch bisher kaum untersucht, obwohl mehrere Studien homogene Belastungsfaktoren durch Probleme in der sozialen Interaktion (mit Schülern, Kollegen, Eltern) aufzeigen.