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DOI: 10.1055/s-0034-1387037
Landkreisbezogene Analyse und Evaluation des Bildungs- und Teilhabepakets der Bundesregierung
Einleitung: Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien sind besonders von gesundheitlichen Belastungen betroffen und weisen schlechtere Gesundheits- und Bildungschancen auf (Lampert et al. 2010; Geene und Gold 2009). Hauptursachen für Kinderarmut sind Erwerbslosigkeit sowie prekäre Leih- und Teilzeitarbeitsverhältnisse der Eltern (Butterwegge et al. 2008). Mit der Einführung des Bildungs- und Teilhabepakets (1. April 2011) hat die Bundesregierung den vom Bundesverfassungsgericht erhaltenen Auftrag erfüllt, das soziokulturelle Existenzminimum für Kinder und Jugendliche in sachgerechter und transparenter Form neu zu regeln (Apel und Engels 2012; BVerfG 2010). Ziel des Forschungsprojektes „Kinderarmut in Deutschland. Analyse und Evaluation des Bildungs- und Teilhabepakets der Bundesregierung für den Landkreis Stendal.“ ist es, Implementierung und Umsetzungsstand des Bildungspakets im Landkreis Stendal (Sachsen-Anhalt) zu untersuchen. Im Landkreis wuchsen 2009 43,4% der unter Dreijährigen in Armut auf – die höchste Quote eines Landkreises bundesweit (Bertelsmann Stiftung 2012). Dennoch konnte der Landkreis im Jahr 2012 nur 50% des bereit gestellten Budgets für das Bildungspaket ausschöpfen. Die Gründe hierfür sollen in der vorliegenden Studie erschlossen und Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Dabei werden neben individueller Inanspruchnahme auch setting-/strukturbezogene Maßnahmen betrachtet (Geene et al. 2013).
Methodik: Die explorative Befragungsstudie beruht auf einem Mixed-Methods-Design aus quantitativen und qualitativen Methoden. Leistungsberechtigte wurden mittels Fragebögen zu Informationsstand, Inanspruchnahme bzw. Gründen der Nicht-Inanspruchnahme und Bewertung der Leistungen des Bildungspakets sowie Stigmatisierungssorgen quantitativ schriftlich befragt. Der Zugang erfolgte über eine persönliche Ansprache im Jobcenter Stendal. Zudem wurden mittels Gruppendiskussionen mit Entscheidungsträger/innen sowie leitfadengestützten Befragungen von Mitarbeiter/innen des Jobcenters Stendal fördernde und hemmende Faktoren bei der Implementierung und Umsetzung des Bildungspaktes im Landkreis erhoben.
Ergebnisse: Es konnten 147 Inanspruchnehmer/innen und 114 Nicht-Inanspruchnehmer/innen von Leistungen des Bildungspakets quantitativ befragt werden. Sechs Entscheidungsträger/innen und sechs Mitarbeiterinnen aus unterschiedlichen Verantwortungsebenen des Jobcenters wurden in Einzel- und Gruppengesprächen qualitativ interviewt. Die Mitarbeiterinnen benennen als wichtigste Gründe für die Nicht-Inanspruchnahme von Leistungen mangelndes Interesse sowie Bequemlichkeit der Leistungsberechtigten. Die quantitativen Daten ergeben, dass 45,5% der Nicht-Inanspruchnehmer/innen das Bildungspaket nicht bekannt ist. Ebenso ist der wichtigste Grund für eine Nicht-Inanspruchnahme die fehlende Kenntnis über die Berechtigung, Leistungen beantragen zu können (33,3%), gefolgt von fehlendem Bedarf (26,7%) und fehlender Kenntnis von Angeboten, für die Leistungen beantragt werden können (z.B. Sportverein) (25%). Nur 3,5% der Befragten gaben an, dass kein Interesse an einer Antragstellung besteht und 5% dass der Aufwand für die Antragstellung zu hoch wäre.
Diskussion: Der direkte Zugang zu den Anspruchsberechtigten über das Jobcenter erwies sich als erfolgreich, eine ergänzende Befragung über das Sozialamt erfolgt derzeit. Zu überprüfen ist, inwieweit Stigmatisierungssorgen eine Inanspruchnahme von Leistungen zusätzlich hemmen. Aus den Ergebnissen werden Handlungsempfehlungen zur Optimierung von Verfahrensabläufen in Institutionen sowie Förderung settingbezogener Maßnahmen abgeleitet. Aufgrund des mangelnden Informationsstandes von Nicht-Inanspruchnehmer/innen sollte eine ausführlichere Beratung im Jobcenter/Sozialamt zum Bildungspaket erfolgen. Eine umfassende Aufklärung sowie unbürokratische Kooperationen in zentralen Settings wie Kita und Schule würde eine niedrigschwellige Erreichbarkeit von Familien ermöglichen. Mittel aus dem Bildungspaket sollten zudem verstärkt in sozialraumorientierte Maßnahmen investiert werden, wie z.B. den Einsatz von Schulsozialarbeiter/innen (Speck und Olk 2012). Im Landkreis Stendal erfolgt dies bereits vereinzelt, für eine flächendeckende Umsetzung fehlt eine langfristige gesetzliche Absicherung.