Gesundheitswesen 2014; 76 - A207
DOI: 10.1055/s-0034-1387057

Vermittlung Sozialmedizinischer Skills bei Studierenden der Humanmedizin – ein Werkstattbericht

S Völter-Mahlknecht 1, S Hildenbrand 1, E Simoes 2, E Luntz 1, J Graf 1, MA Rieger 1
  • 1Universitätsklinikum Tübingen, Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung, Tübingen
  • 2Universitätsfrauenklinik Tübingen, Institut für Frauengesundheitsforschung Baden-Württemberg, Tübingen

Einleitung: Der Vermittlung von sozialmedizinischem Wissen, das für ein systemkompetentes Handeln der zukünftigen ÄrztInnen unabdingbar ist, kommt im humanmedizinischen Studium häufig ein zu geringer Stellenwert zu (Schagen 2005). Für den ärztlichen Berufsalltag unerlässliche und häufige Fragestellungen und Handlungen, wie z.B. der korrekte Umgang mit dem Thema Arbeitsunfähigkeit und das Ausfüllen entsprechender Bescheinigungen, wird sehr vielen Medizinstudierenden nicht vermittelt. Deshalb wurde im Institut für Arbeitsmedizin, Sozialmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Tübingen ein neues Lehrformat entwickelt, in welchem der Umgang mit ausgewählten sozialmedizinischen Themen mit Blick auf das praktische Tun („Hands on“) fokussiert wird. In diesem Pflichtseminar in Kleingruppen – an Stelle von klassischem Frontalunterricht – werden neben dem korrekten Ausfüllen entsprechender Formulare die Richtlinien, Gesetze sowie weitere Grundlagen vermittelt. Mit praxisrelevanten und -orientierten Themen soll zudem die bei sehr vielen Studierenden bestehende ablehnende Haltung gegenüber dem Fach Sozialmedizin minimiert werden.

Material und Methodik: Das Seminar wurde im SS 2013 und im WS 2013/2014 insgesamt 10mal durchgeführt, wobei ca. n = 30 – 35 Seminarteilnehmende jeweils in 5 Kleingruppen arbeiteten (Gesamtzahl: n = 311). Die Seminarthemen (Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitation, Pflege, Stufenweise Wiedereingliederung, Hilfsmittel) wurden u.a. nach den Kriterien Relevanz und Fehlerhäufigkeit bei der Umsetzung ausgewählt. Als Arbeitsunterlagen erhielten die Studierenden eine Fallvignette, Leitfragen, Lernziele sowie thematisch abgestimmte Texte. Die in der Kleingruppe erarbeiteten Antworten zu den Leitfragen wurden dann mit Hilfe von Overheadfolien den KommilitonInnen im Seminarplenum präsentiert.

Die freiwillige studentische Seminarevaluation (Schulnoten, Freitext) erfolgte innerhalb des Tuevalon®-Programms der Medizinischen Fakultät Tübingen. Die entsprechende elektronische Abfrage erfolgt üblicherweise bis zu vier Wochen nach Abschluss der Lehrveranstaltung.

Ergebnisse: Das Seminar wurde im SS 2013 von 28,7% und im WS 2013/2014 von 29,9% der Studierenden mittels Noten evaluiert. Die Note betrug im Durchschnitt 2,81 (SS 2013) bzw. 2,72 (WS 2013/2014) und lag zwischen 2,29 und 3,15 bzw. 1,91 und 3,40. Freitexte wurden von n = 11 Studierenden abgegeben. Das neue Format stellte sich aus Dozentensicht als geeignet dar, den Studierenden Themen der Sozialmedizin praxisnah und als relevant zu vermitteln und sozialmedizinische Fähigkeiten praktisch einzuüben. Die studentische Einschätzung war heterogen: Die Themen wurden als wissensrelevant für alle Medizinstudierenden eingestuft. Trotz des eher schlechten Images der Sozialmedizin bei Studierenden wurde das Seminar überwiegend als interessant beurteilt – u.a. aufgrund des hohen Praxisbezugs. Der Lernerfolg aus den selbst bearbeiteten Themen wurde von den Studierenden als hoch eingeschätzt. Allerdings wurde wiederholt Kritik daran geübt, dass die übrigen Themen lediglich von KommilitonInnen erarbeitet und präsentiert wurden.

Diskussion und Schlussfolgerungen: Aufgrund der geringen Teilnahme an der Tuevalon®-Evaluation besteht keine Repräsentativität der Ergebnisse. Auch ist erfahrungsgemäß die Bereitschaft zu einem Kommentar bei den mit einer Lehrveranstaltung unzufriedenen Studierenden höher als bei den zufriedenen Teilnehmenden. Vielleicht könnte ein unmittelbar nach der Lehrveranstaltung eingeholtes, anonymes schriftliches Feedback die studentische Bewertung realistischer abbilden. Im Hinblick auf die Akzeptanz des „peer teaching“ durch die Studierenden besteht Verbesserungsbedarf, z.B. durch stärkere Bewertung der studentischen Präsentation durch die Dozenten. Insgesamt stellte sich das vorgestellte Lehr- und Lernformat mit Fallvignetten als geeignet dar, für den ärztlichen Alltag unerlässliche sozialmedizinische Fertigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln.