Gesundheitswesen 2014; 76 - A209
DOI: 10.1055/s-0034-1387059

Risikofaktor Sitzen – Prävalenz und Determinanten von Sitzzeiten am Arbeitsplatz

B Wallmann-Sperlich 1, 2, J Bucksch 3, S Schneider 4, I Froböse 2
  • 1Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Würzburg
  • 2Deutsche Sporthochschule Köln, Köln
  • 3Universität Bielefeld, Bielefeld
  • 4Medizinische Fakultät Mannheim, Universität Heidelberg, Mannheim

Einleitung: Es mehrt sich die wissenschaftliche Erkenntnis, dass langandauerndes und ununterbrochenes Sitzen als ein von moderater und höher intensiver körperlicher Aktivität unabhängiger gesundheitsrelevanter Risikofaktor mit eigenständiger Ätiologie angesehen werden muss. Regelmäßige und langandauernde Sitzzeiten sind besonders in der modernen Arbeitswelt anzutreffen: Schreibtisch- bzw. Computertätigkeiten haben oftmals selbst die gering intensiven körperlichen Aktivitäten wie Stehen und Gehen verdrängt. Es fehlt allerdings an Studien, die einen Überblick über die bevölkerungsweite Prävalenz geben. Ziel der vorliegenden Studie ist es deshalb Daten zur Dauer von Sitzzeiten während der Arbeit für Deutschland vorzulegen. Darüber hinaus wird untersucht, inwieweit soziodemographische Variablen und die körperliche Aktivität mit dem Sitzverhalten während der Arbeit zusammenhängen.

Methodik: Im Rahmen einer deutschlandweiten Telefonbefragung wurden 1.663 berufstätige bzw. in der Ausbildung befindliche Erwachsene (826 männlich; 41,4 ± 12,2 Jahre) zu ihren Sitzzeiten an Werktagen während der Arbeit sowie nach ihrer körperlichen Aktivität in den Kontexten Arbeit, Transport und Freizeit befragt. Hierzu wurde der „Marshall Sitting Questionnaire” [1] sowie der „Global Physical Activity Questionnaire (GPAQ)” [2] verwendet. Zur deskriptiven Analyse wurden die Mediane und Quartile der arbeitsbezogenen Sitzzeiten an Werktagen sowie der prozentuale Anteil an der jeweiligen Gesamtdauer der Sitzzeit an Werktagen berechnet. Zur Analyse multivariater Determinanten wurde eine lineare Regressionsanalyse mit der abhängigen Variable 'Sitzzeiten während der Arbeit' und den unabhängigen Variablen 'Geschlecht', 'Alter', 'höchster Bildungsabschluss', 'körperliche Aktivität während der Arbeit', 'körperliche Aktivität während des Transportes und 'körperliche Aktivität während der Freizeit durchgeführt.

Ergebnisse: Durchschnittlich sitzen deutsche Berufstätige bzw. in der Ausbildung befindliche Personen 150 Minuten während ihrer Arbeitszeit. Dieses entspricht 31,7% der Gesamtsitzzeit an einem Werktag. Während Männer im Durchschnitt 120 Minuten während der Arbeitszeit sitzen, kommen Frauen auf täglich 180 Minuten. Befragte, die sich in der Ausbildung bzw. im Studium befinden, sitzen während der Arbeit mit 244 Minuten pro Werktag signifikant länger als Befragte, die sich bereits im Beruf befinden. Angestellte, Beamte sowie Selbstständige sitzen 180 Minuten pro Werktag gegenüber (Fach-)Arbeitern mit durchschnittlichen 60 Minuten. Regressionsanalytisch weist Alter einen negativen Zusammenhang (β=-0,08**), d.h. die Sitzdauer während der Arbeitszeit reduziert sich mit steigendem Alter. Der Bildungsabschluss korreliert positiv mit den Sitzsitzen (β= 0,27***) und legt nahe, dass höhere Sitzzeiten bei steigendem Bildungsabschluss zu finden sind. Je höher die körperliche Aktivität während der Arbeit ist, umso niedriger sind die täglichen Sitzzeiten während der Arbeit (β=-0,28***). Körperliche Aktivitäten während des Transportes sowie während der Freizeit zeigen keinen Zusammenhang mit den Sitzzeiten während der Arbeitszeit auf. Insgesamt liegt die aufgeklärte Varianz für Regressionsmodell bei R2 = 0,20.

Diskussion/Schlussfolgerung: Sitzzeiten während der Arbeitszeit machen ca. 1/3 der Gesamtsitzzeit an einem Werktag aus, womit der Kontext „Arbeit“ ein wichtiges Setting zur Reduzierung von Sitzzeiten darstellt. Wichtige Zielgruppen zur Reduzierung von Sitzzeiten sind Personen, die sich in der Ausbildung bzw. im Studium befinden, sowie Angestellte, Beamte oder Selbstständige bzw. berufstätige Personen mit hohen Bildungsabschlüssen. Die Analysen zeigen zudem, dass erhöhter Forschungsbedarf zur Identifizierung weiterer Determinanten der Sitzzeiten während der Arbeit besteht. Körperliche Aktivitäten während des Transports sowie in der Freizeit zeigen keine Korrelation. Es ist somit nicht von einer Kompensation der Sitzzeiten der Berufstätigen durch vermehrte körperliche Aktivität auszugehen.