Gesundheitswesen 2015; 77(04): 243-244
DOI: 10.1055/s-0034-1389930
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Die lidA-Studie liefert wichtige Erkenntnisse über die Zusammenhänge von Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe

E. Swart
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16 October 2014 (online)

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E. Swart

Der deutsche Arbeitsmarkt und die dort handelnden Akteure stehen vor großen Herausforderungen: Einerseits werden aufgrund demografischer Umbrüche in den nächsten Jahren immer weniger Menschen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Andererseits ist der Arbeitsmarkt durch immer schnelleren Wandel gekennzeichnet in Bezug auf Arbeitsinhalt, -form und -mittel, und oft auch mit steigenden Arbeitsanforderungen verbunden. Arbeitnehmer werden folglich nicht nur länger als in der Vergangenheit arbeiten müssen, sondern sich auch kontinuierlich auf immer neue Situationen einstellen müssen, um auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft bestehen zu können.

Die lidA-(leben in der Arbeit-)Studie untersucht vor diesem Hintergrund Langzeiteffekte der Arbeit auf Gesundheit und Erwerbsteilhabe in einer älter werdenden Erwerbsbevölkerung aus interdisziplinärer Perspektive. Sie ist derzeit die einzige umfassende prospektive Studie in Deutschland, die Beschäftigungsfähigkeit umfassend operationalisiert. Die Grundlage bildet eine bundesweite Stichprobe von sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmern, die repräsentativ für zwei Geburtskohorten der Babyboomergeneration (1959 und 1965) gezogen wurde und im Dreijahresabstand befragt wird. Das Studiendesign der Längsschnittuntersuchung (Schaies ‚most efficient design‘) ermöglicht die Unterscheidung von Alters-, Kohorten- und Messzeitpunkteffekten [1] [2]. Bei einer Verlängerung der Studie sollte aus inhaltlichen und methodischen Überlegungen heraus eine dritte Kohorte hinzugefügt werden (Jahrgang 1971). Um die subjektiven Angaben im Interview mit „objektiven“ Prozessdaten anzureichern, wurden die Arbeitnehmer um ihre Zustimmung zur wissenschaftlichen Nutzung von Sozialdaten der Arbeitsverwaltung und der gesetzlichen Krankenversicherung gebeten [3]. Hierbei werden in lidA methodische Erkenntnisse gewonnen, die zukünftigen epidemiologischen Studien zum Nutzen gereichen können, z. B. der Nationalen Kohorte [4].

Die 6 Beiträge dieses lidA-Schwerpunktheftes geben Einblick in unterschiedliche inhaltliche und methodische Aspekte der lidA-Studie aus der ersten Förderphase (2009–2015). Zunächst bedarf es sowohl modellhafter Überlegungen als auch empirischer Daten zur Erklärung des Zusammenhangs zwischen Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe [5]. Hierzu erläutern Ebener und Hasselhorn den konzeptionellen Hintergrund der lidA-Studie und stellen anschließend die Studie selbst vor. Mit dem lidA-Denkmodell visualisieren die Autoren die Determinanten der Erwerbsteilhabe mittels 11 „Domänen“, unter denen Arbeit und Gesundheit zentrale – aber durchaus keine ausschließlichen – Rollen spielen. Das Denkmodell macht nach Ansicht der Autoren 4 Grundcharakteristika der Erwerbsteilhabe und Erwerbsaufgabe im höheren Erwerbsalter deutlich: Komplexität, Prozesshaftigkeit, Individualität und Struktureller Rahmen. Aus ihnen lassen sich Implikationen für Politik und Betriebe zum Thema ableiten, aber eben auch für die Forschung. Letztere werden bei lidA in Design und Inhalt aufgegriffen, was die Möglichkeit zur Bearbeitung zahlreicher neuartiger inhaltlicher wie methodischer Fragestellungen eröffnet.

Eine der Besonderheit der lidA-Studie ist bspw. der Umstand, dass neben den Befragungsdaten weitere Prozessdaten von Sozialversicherungsträgern (‚Sekundärdaten‘) mit den Primärdaten verlinkt werden. Da das dazu notwendige Einverständnis nicht von allen Teilnehmern gegeben wird, untersuchen Schröder et al. in ihrem Beitrag, inwieweit es durch diese Ausfälle zu Selektionseffekten kommt. Die Analyse des Consenterverhaltens ergab generell eine erfreulich hohe Zustimmungsbereitschaft und nur geringfügige Selektionseffekte bei wenigen Teilgruppen. Daher kann von einer guten Verallgemeinerungsfähigkeit ausgegangen werden.

Das gesetzliche Renteneintrittsalter ist inzwischen perspektivisch auf 67 Jahre angehoben worden. Um bis zu diesem Alter erwerbstätig zu bleiben, bedarf es unter anderem einer guten physischen und psychischen Gesundheit. Vor diesem Hintergrund betrachten Tophoven et al. den Zusammenhang zwischen psychosozialen Arbeitsbedingungen und mentaler Gesundheit der lidA-Kohorten. Gestützt auf die empirischen Befunde empfehlen sie, die Verbesserung psychosozialer Arbeitsbedingungen verstärkt zum Gegenstand betrieblicher Präventionsmaßnahmen zu machen.

Der Beitrag von Peter et al. fokussiert auf die hohe Prävalenz psychischer Erkrankungen und deren Bedeutung für die Arbeitsunfähigkeit (AU). Der Beitrag geht der Frage nach, inwieweit der Zusammenhang zwischen psychischen Störungen und (Langzeit-)AU auch unabhängig von soziodemografischen Merkmalen besteht. Die Analysen weisen auf eine Assoziation zwischen psychischen Erkrankungen und insbesondere Langzeitarbeitsunfähigkeit hin, die unabhängig von soziodemografischen Faktoren besteht. Das legt spezifische Programme zur Prävention und Rehabilitation von psychischen Erkrankungen bei älteren Arbeitnehmern nahe.

Im Zuge der Arbeitsmarktflexibilisierung ist eine Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse zu beobachten. Die Untersuchung gesundheitlicher Auswirkungen atypischer Beschäftigungsverhältnisse bei älteren Erwerbstätigen ist Gegenstand des Beitrags von Kretschmer und Riedel. Angesichts der protektiven Funktion von Schlaf für die Gesundheit und für die Arbeitsproduktivität werden Zusammenhänge zwischen verschiedenen Beschäftigungsformen und Insomnie-Symptomen (Einschlaf- und Durchschlafstörungen) analysiert. Frauen weisen häufiger Insomnie-Symptome auf als Männer. Obwohl weibliche Erwerbstätige öfter einer Teilzeitarbeit oder einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, erklärt dies nicht die höhere Insomnie-Prävalenz. Bei Männern hingegen könnte Teilzeitbeschäftigung das Risiko, Insomnie-Symptome zu zeigen, begünstigen.

Neben vorwiegend selbst berichteten Angaben zur Gesundheit aus dem persönlichen computergestützten Interview (CAPI) liegt mit der Messung der Handgreifkraft ein objektiver Gesundheitsindikator vor, der schon in vielen anderen arbeitsepidemiologischen Studien eingesetzt wurde. Er dient als Prädiktor für die Vorhersage gesundheits- und arbeitsfähigkeitsbezogener Outcomes. Rentzsch et al. zeigen zunächst anhand der querschnittlichen Daten der ersten Erhebungswelle die Korrelation der Handgreifkraft mit Indikatoren der subjektiven Gesundheit (inkl. Schmerzen) sowie der physischen und psychischen Arbeitsfähigkeit; hohe Werte der Handgreifkraft sind mit positiveren Ausprägungen bei den subjektiven Gesundheitsindikatoren korreliert. Die Prädiktionsfähigkeit der Handgreifkraft wird sich anhand von Daten der zweiten Befragungswelle, in der im Wesentlichen die gleichen Gesundheitsindikatoren erhoben wurden, beurteilen lassen.

Die lidA-Studie ist darauf ausgelegt, den Zusammenhang von Arbeit, Gesundheit und Erwerbsteilhabe Älterer in den kommenden Jahren zu analysieren. Dabei sollen Alters- und Generationenunterschiede identifiziert, empirische Belege für die Komplexität der Erwerbsteilhabe gesammelt und damit der Nutzen differenzierter methodischer und inhaltlicher Herangehensweisen an diese komplexe Thematik untersucht werden. So wird lidA einen wichtigen empirischen Baustein zur Beschreibung unterschiedlicher Gruppen von Erwerbstätigen mit ausgeprägter gesundheitlicher Heterogenität, besonders im mittleren und höheren Erwerbsalter, liefern [5].

Dieses Heft kann naturgemäß nicht alle Facetten dieser umfangreichen Studie beleuchten. Für weitere Informationen sei auf die Webseite der Studie (www.lida-studie.de) und die dort referierten Publikationen verwiesen. Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!

 
  • Literatur

  • 1 Hasselhorn HM, Peter R, Rauch A et al. Cohort profile: The lidA Cohort Study – a German Cohort Study on Work, Age, Health and Work Participation. Int J Epidemiol 2014; DOI: 10.1093/ije/dyu021ije.oxfordjournals.org/content/early/2014/03/10/ije.dyu021.full.pdf..
  • 2 Schröder H, Kersting A, Gilberg R et al. Methodenbericht zur Haupterhebung lidA – leben in der Arbeit. FDZ-Methodenreport 01/2013. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung 2013;
  • 3 March S, Rauch A, Thomas D et al. Datenschutzrechtliche Vorgehensweise bei der Verknüpfung von Primär- und Sekundärdaten in einer Kohortenstudie: die lidA-Studie. Das Gesundheitswesen 2012; 74: e122-e129
  • 4 Stallmann C, Schauer S. Sekundär- und Registerdaten in der Nationalen Kohorte – Datenlinkage in einer großen deutschen Kohortenstudie. Gesundheitswesen (im Druck).
  • 5 Hasselhorn HMH, Rauch A. Perspektiven von Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe in Deutschland. Bundesgesundheitsbl 2013; 56: 339-348