Gesundheitswesen 2017; 79(08/09): 656-804
DOI: 10.1055/s-0037-1605686
Vorträge
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Determinanten der Gerechtigkeitswahrnehmung bei der Allokation knapper medizinischer Ressourcen: Auswertung eines faktoriellen Surveys

B Garcia Voges
1   Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, ESME – Epidemiologische und Statistische Methoden, Braunschweig
,
A Karch
1   Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, ESME – Epidemiologische und Statistische Methoden, Braunschweig
2   PhD-Studiengang Epidemiologie, Braunschweig-Hannover
3   Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
,
N Rübsamen
1   Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, ESME – Epidemiologische und Statistische Methoden, Braunschweig
2   PhD-Studiengang Epidemiologie, Braunschweig-Hannover
,
T Smieszek
4   Public Health England, National Infection Service, London
5   Imperial College School of Public Health, Department of Infectious Disease Epidemiology, London
6   The Pennsylvania State University, Center for Infectious Disease Dynamics, University Park
,
S Castell
7   Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Abteilung für Epidemiologie, Braunschweig
,
R Mikolajczyk
1   Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, ESME – Epidemiologische und Statistische Methoden, Braunschweig
3   Medizinische Hochschule Hannover, Hannover
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
01 September 2017 (online)

 

Fragestellung:

Welche Faktoren beeinflussen die Gerechtigkeitswahrnehmung bei der Allokation knapper medizinischer Ressourcen?

Methoden:

Die 1.037 TeilnehmerInnen des populationsbezogenen niedersächsischen Online-Panels „HaBIDS“ werden monatlich zu Wissen, Einstellungen und Prävention von Infektionskrankheiten befragt. Im Februar 2016 wurde die Wahl von Allokationsprinzipien (Zufall, Warteliste, Jüngere/Promiskuitive/Treue zuerst, keine Entscheidung) für Impfungen und Behandlungen einer (hypothetischen) tödlichen sexuell übertragbaren Infektion untersucht.

Ein faktorielles Design mit den drei Faktoren „Mortalität“ (Tod nach 5 Jahren vs. 15 Jahren), „Fragestellung“ (Was ist gerecht? vs. Wie soll verteilt werden?) und „Zusatzinformation“ (keine Grafik vs. Grafik) wurde eingesetzt. Die Grafik informierte über die erwarteten Todesfälle der Allokationsprinzipien. Die Impfung bzw. Behandlung promiskuitiver Menschen war jeweils mit den wenigsten Todesfällen verbunden. Die drei Faktoren wurden in einer multinomialen Regression als Prädiktoren für die Wahl eines der Allokationsprinzipien benutzt. Die Antwortmöglichkeit „Das kann ich nicht entscheiden“ war Referenzkategorie.

Ergebnisse:

886 TeilnehmerInnen füllten den Fragebogen aus. Die Faktoren „Mortalität“ und „Fragestellung“ hatten keinen signifikanten Einfluss auf die Wahl des Allokationsprinzips. Dagegen erhöhte die Zusatzinformation die Wahrscheinlichkeit, dass die bevorzugte Behandlung promiskuitiver Menschen gewählt wurde (relative risk ratio (RRR) 2,8 [1,5; 5,2]) und erniedrigte die Wahrscheinlichkeit, dass die (als deutlich ineffektiver dargestellte) Antwortmöglichkeit, junge Menschen bei Impfungen zu bevorzugen, gewählt wurde (RRR 0,3 [0,1; 0,6]).

Schlussfolgerungen:

Aufgrund der epidemiologischen Zusatzinformation wurden häufiger Allokationsprinzipien gewählt, die die Anzahl zu erwartender Todesfälle minimieren. Der deutschen Medizinethik liegen hingegen vorwiegend andere Werte zugrunde.